Warum sind Vorzeige-Kinder häufig unglücklich? Sie sind exzellente Schüler:innen, gelten häufig als Vorbild für andere, erbringen oftmals Höchstleistungen und geben ihren Bezugspersonen selten Anlass zur Sorge. Weshalb also neigen sie dazu, unglücklicher zu sein als andere Kinder?
Heute stelle ich Ihnen den dritten Teil der mehrteiligen Serie „Familienrollen – Wenn die Rolle in der Familie zum Gefängnis wird“ vor, die Ihnen dabei helfen können, sich selbst, die Beziehung zu Ihren Bezugspersonen sowie Ihre Kindheit bzw. Jugend besser zu verstehen.
Vorzeigekinder sind das vermeintlich gelungene Ergebnis einer erfolgreichen Erziehung. Sie gelten als Vorbilder und/oder Musterkinder, die man gerne in den Mittelpunkt stellt. Sie erfüllen ihre Eltern mit Stolz und werfen durch ihr untadeliges Verhalten, ihre soziale Kompetenz und/oder ihre exzellente Noten ein positives Licht auf ihre Eltern.
Doch wie so häufig ist der Preis auch für dieses gezeigte Verhalten hoch – und es sind die Kinder, die ihn bezahlen müssen.
Vorzeigekinder haben es im Vergleich mit anderen familiären Rollen vermeintlich gut getroffen: Ihre Eltern loben sie oft über den grünen Klee und stellen ihre Person regelmäßig als leuchtendes Beispiel hin. Die Eltern lassen kaum eine Gelegenheit ungenutzt, um die Vorzüge und herausragenden Leistungen ihrer Sprösslinge hervorzuheben. Oft und gerade auch im Vergleich mit vermeintlich weniger Begabten und/oder Schwächeren.
Meist legen die Eltern ebenfalls großen Wert auf die intensive Förderung ihres Nachwuchses: Sie investieren viel Zeit und Geld und scheuen keine Mühe, um ihren Kindern den Platz zu sichern, der ihnen nach elterlicher Meinung rechtmäßig zusteht.
Worin besteht also dann überhaupt das Problem?
Bin ich gut genug? Ist meine Leistung ausreichend? Was passiert, wenn ich einmal versage? Haben meine Eltern mich dann noch lieb?
Mit solchen und ähnlichen Fragen quälen sich viele Vorzeigekinder, insbesondere dann, wenn sie entweder noch nie gescheitert sind – oder aber bereits einmal erfahren haben, welche tiefe Enttäuschung sie ihren Eltern dadurch bereitet haben.
Diese kindlichen Ängste werden zusätzlich dadurch befeuert, dass Eltern eine gewisse Erwartungshaltung ihren Kindern gegenüber an den Tag legen: Hervorragende Leistungen sind der Standard, kleinste Abweichungen davon führen zu Irritationen und Druck.
Wenn die sehr gute Leistung erst einmal zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dann reagieren Eltern häufig mit wenig Verständnis auf ein schlechteres Ergebnis. Selbst wenn dieses Missfallen nicht verbal ausgedrückt wird, haben Kinder feine Antennen dafür, wie ihre Eltern mit ihnen umgehen. Eine Änderung im Umgang bleibt daher keineswegs unbemerkt, vielmehr ist das Gegenteil der Fall.
Kinder sind in ihrer Wahrnehmung wesentlich sensibler, als wir gemeinhin annehmen. Sie bemerken in der Regel sehr schnell, ob sie so angenommen werden, wie sie sind – oder so, wie sie sein sollen bzw. wie es von ihnen erwartet wird.
Je jünger sie sind, desto mehr streben Kinder danach, ihren Bezugspersonen bzw. Eltern zu gefallen, denn davon hängt schließlich ihr Überleben ab. Elterliche Zuwendung ist in diesen frühen Jahren buchstäblich überlebensnotwendig.
Um den elterlichen Erwartungen zu genügen, müssen sie sich und ihre eigenen Bedürfnisse teilweise verleugnen, teilweise die Bedürfnisse der Eltern zu ihren eigenen machen. Die Kinder verbiegen sich, ihre Interessen und ihre Persönlichkeit so weit, dass sie am Ende schließlich selbst nicht mehr wissen, wo sie aufhören und ihre Eltern beginnen.
Oftmals lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob es etwa dem kindlichen Ehrgeiz entsprungen ist, zu den Besten der Klasse gehören zu wollen – oder ob sie nicht einfach die elterliche Erwartung so weit verinnerlicht, internalisiert haben, dass sie sogar selbst zu glauben beginnen, es sei ihr eigener freier Wunsch.
Erfüllen die Vorzeigekinder nicht mehr die Erwartungen ihrer Eltern, reagieren diese oft mit Bestrafung auf unterschiedlichen Ebenen. Im Kern drehen sich die Strafen aber jedoch meist darum, dass sie dem Kind seinen Sonderstatus in der Familie vorübergehend (oder dauerhaft) entziehen.
Je nach Ausmaß der Bestrafung kann es sogar bis hin zu psychischer Gewalt gehen, wenn dem Kind dauerhaft Zuwendung, Wertschätzung und familiärer Rückhalt verwehrt werden.
In elterliche Ungnade zu fallen kann beispielsweise wie folgt aussehen:
Diese Maßnahmen sind aus elterlicher Sicht notwendig, um das Kind wieder „auf Kurs“ bzw. „in die Spur“ zu bringen. Dabei glauben sie in der Regel, zum Wohle des Kindes und zu seinem Besten zu handeln, sind dabei jedoch nicht in der Lage, die daraus entstehenden Konsequenzen für ihr Kind zu antizipieren.
Kinder, die daran gewöhnt sind, stets wie Vorzeigeobjekte behandelt zu werden, bemessen ihren Wert zunehmend nur noch daran, wie „vorzeigbar“ sie sind – in ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrer schulischen Leistung, ihren Erfolgen im Sport und/oder ihrem grundsätzlichen Verhalten im Umgang mit anderen.
Mit der Zeit übernehmen sie den elterlichen Blick auf sich selbst und erwarten von sich nur noch Höchstleistungen, Makellosigkeit und Vollendung.
Werden diese Ansprüche nicht (mehr) erfüllt – weil sie etwa fernab jeder Realität liegen – beschädigt das ihr ohnehin bereits fragiles Selbstbild. Im Grunde genommen verbleiben ihnen nur wenige Handlungsoptionen:
Künftige Beziehungen, ob auf freundschaftlicher, kollegialer und/oder romantischer Ebene sind dann häufig von der Furcht geprägt, als ganz normale Durchschnittsmenschen mit Ecken und Kanten entlarvt zu werden – und damit Zuwendung, Aufmerksamkeit und Rückhalt aufs Spiel zu setzen, wie sie es bereits aus der Beziehung zu ihren Eltern kennen.
Gerade, wenn die elterliche Erwartung tief in einem Menschen verankert ist – die wenigsten Menschen sind davon frei – fällt es ihm besonders schwer, sich von dieser Erwartungshaltung zu befreien.
Dabei gilt es vor allem einen schmerzlichen Verlust zu akzeptieren: Den Verlust des Sonderstatus mit all den damit verbundenen Privilegien. Dieser Prozess ist oft schmerzlich und bedarf einer gewissen Trauerzeit.
Privilegien und/oder eine besondere Behandlung sind jedoch kein Zeichen von aufrichtiger Wertschätzung, Zuneigung und/oder Liebe, sondern oftmals ein Instrument, das dazu dient, Sie dazu zu bewegen, etwas für einen anderen Menschen zu erledigen.
Im Fall Ihrer Eltern vielleicht, sich über Ihre Errungenschaften zu profilieren. Im Fall Ihrer Vorgesetzten vielleicht, Sie zu weiteren Überstunden zu überreden, indem man Ihnen beispielsweise Ihre besondere Expertise vor Augen hält. In einer Beziehung, um lästige Dinge auf Sie abzuwälzen, die niemand sonst so gut wie Sie erledigen könne.
Wer Sie um Ihrer selbst willen mag, liebt oder einfach gerne um sich hat, akzeptiert Sie so, wie Sie sind: Mit Ihren Ecken und Kanten, mit Ihren Schwächen und Stärken – kurzum, Sie als Gesamtpaket – und nicht die Person, die Sie darstellen sollen.
Wurden Sie als Kind unter Druck gesetzt und häufig mit anderen verglichen? Durften Sie Fehler machen und auch scheitern?
Wenn Sie bei diesem Prozess eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.
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© 2023 Romy Fischer
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One thought on “Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Vorzeige-Kindes”