Gewalt in der Familie – Generation geschlagene Kinder

Photo by Trym Nilsen on Unsplash
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Gewalt in der Familie – Generation geschlagene Kinder

Gewalt an Kindern und insbesondere Gewalt in der Familie ist noch immer häufig ein Tabuthema. Jährlich werden mehrere tausend Fälle von Kindesmisshandlung angezeigt. 2022 sind es 3.516 Fälle von Misshandlung von Kindern allein in Deutschland.

Welche Folgen die körperliche und psychische Gewalt an den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft nach sich ziehen und wie Sie heute damit umgehen können, wenn Sie als Kind und/oder Jugendliche:r Gewalt erlebt haben, erfahren Sie im heutigen Beitrag.

Quelle: https://www.destatis.de/

Photoy by Maksym Kaharlytskyi on Unsplash
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GEWALT HAT VIELE GESICHTER

    • „Das war doch nur ein Klaps auf den Po (die Finger)!“
    • „Die paar Schläge haben mir überhaupt nicht geschadet.“
    • „Ich habe nur etwas hinter die Löffel bekommen, wenn ich es auch wirklich verdient habe.“
    • „Es waren doch nur ein paar Backpfeifen.“
    • „Schlagen gehört zur Erziehung dazu.“
    • „Wer nicht hören will, muss fühlen!“
    • „Die Kinder von heute sind völlig verweichtlicht, früher hätte es dafür Prügel gegeben!“
    • „Das hat doch kaum wehgetan.“
    • „Es kam ja auch nur selten vor, dass sie zugeschlagen haben.“
    • „Schreien ist doch keine Gewalt.“ 
    • „In der Ecke zu stehen hat mir nicht wehgetan.“
    • „Sie haben es nur gut gemeint.“
    • „Sie wussten es einfach nicht besser.“
    • „Ich war ja auch ein schwieriges Kind.“

Kommen Ihnen einige dieser Aussagen vertraut vor – oder haben Sie selbst manchmal den Gedanken, dass das alles doch eigentlich gar nicht so schlimm war oder längst Schnee von gestern sein sollte?

Doch, das war es. Es war schlimm. Es war grenzverletzend, beängstigend, beschämend, demütigend, bedrohlich, ja, vielleicht sogar lebensbedrohlich.

Für ein besseres Verständnis möchte ich Ihnen die Situation ein wenig veranschaulichen, denn bedauerlicherweise halten viele Menschen auch heute noch an körperlichen Strafen fest – und das, obwohl Kinder seit 2000 (!) das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben:

„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig”.

(BGB § 1631 Abs. 2: Recht auf gewaltfreie Erziehung)

Und auch emotionale bzw. psychische Gewalt stellt Gewalt dar.

Emotionale, psychische oder auch seelische Gewalt umfasst ein breites Spektrum von Verhaltensweisen, die eine Gewaltausübung beschreiben, welche ohne Schläge auskommt.

Stellen Sie sich einmal vor, jemand, der zwei bis dreimal so groß ist wie Sie (so sieht das Größenverhältnis von Kindern und Erwachsenen nämlich in der Regel aus!), beugt sich zu Ihnen herunter, schreit Sie von oben an, erhebt womöglich drohend die Hand, zerrt Sie am Handgelenk, damit Sie ihm folgen und/oder schlägt zu. Diese Person ist nicht irgendein Wildfremder auf der Straße und auch kein „Schlägertyp“, nein, es handelt sich um den bzw. die Menschen, von denen Sie genau das Gegenteil erwarten können sollten – Ihre Eltern. Ihre Eltern, von denen Sie Liebe, Fürsorge, Respekt, Autonomie, Geborgenhalt, Halt, Schutz und angemessene gesetzte und durchgesetzte Grenzen erfahren sollten.

Schläge, Anschreien, der Einsatz von körperlicher oder psychischer Gewalt im Allgemeinen stellen keine Erziehungsmaßnahmen dar. Sie lehren weder Respekt noch Achtung, sondern sind in letzter Konsequenz das Eingeständnis erzieherischen (und zuweilen auch persönlichen) Versagens. Oder kämen Sie etwa auf die Idee, Ihren Willen bei Ihrem bzw. Ihrer Vorgesetzten, Ihren Freund:innen oder Ihren Eltern mit körperlicher (oder psychischer) Gewalt durchzusetzen, sich mit Schlägen vermeintlichen Respekt zu verschaffen oder Drohungen gar für eine angemessene Form der Kommunikation zu halten, um Ihren Standpunkt zu verdeutlichen?

Und doch ist es genau das, was viele Kinder – selbst Kleinstkinder und Säuglinge – tagtäglich erleben, erleiden und aushalten müssen, ohne sich dagegen wehren zu können: Erziehungs- und sorgeberechtigte Bezugspersonen wenden ihre körperliche Überlegenheit an, um Ihren „Willen durchzusetzen“, „Konsequenzen aufzuzeigen“, „Respekt zu lehren“ – und so weiter und so fort. 

Wenn man seine Mitmenschen nicht auf diese Weise behandelt, weswegen sollte man es dann mit den eigenen Kindern tun?

Photo by Robin Phoenix on Unsplash
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WARUM SCHLAGEN ELTERN IHRE KINDER?

Warum schlagen Eltern ihre Kinder? Selbst diejenigen, die Gewalt im Grunde ablehnen und sich womöglich sogar als Pazifist:innen betrachten?

Es gibt viele Gründe, weshalb Gewalt ihren Weg in die Familien findet. Sie findet in finanziell benachteiligten, aber auch in wohlhabenden Familien statt. Oft ist sie Ausdruck eigener Ohnmacht und Hilflosigkeit. Ebenso oft beruht sie auf eigenen Gewalterfahrungen in der Vergangenheit und wird als (scheinbar) einzig verfügbares Verhalten in herausfordernden Situationen abgerufen (etwa durch Stress und Überforderung), zuweilen beruht sie auf der häufigen, wenngleich auch falschen Vorstellung, körperliche oder psychische Formen der Bestrafung seien adäquate – angemessene – Erziehungsformen (etwa beeinflusst durch den geschichtlichen und/oder kulturellen Hintergrund – man denke etwa an die Schwarze Pädagogik).

Aber es kann auch eine Verschiebung stattfinden, wenn etwa die Wut, der Ärger oder der Frust eigentlich jemand anderem gelten, diese Person jedoch nicht „verfügbar“ ist, weil die daraus resultierenden Konsequenzen augenscheinlich fataler auszufallen scheinen, wie etwa bei dem bzw. der Vorgesetzten (beispielsweise eine Anzeige und Kündigung).

Auch Konflikte in der Paarbeziehung können sich statt beim Partner oder bei der Partnerin beim Kind entladen, teilweise ganz bewusst (denn das Kind kann einen im Gegensatz zum Partner nicht einfach „verlassen“ oder die Beziehung aufkündigen), teilweise jedoch auch unbewusst – etwa wenn ein augenscheinlich kindliches „Fehlverhalten“ zusätzlich zum bereits existierenden Konflikt auftritt, das das Fass zum Überlaufen bringt und dieses „Fehlverhalten“ mittels einer gewaltvollen Handlung „korrigiert“ wird.

Photo by Jess Zoerb on Unsplash
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WAS SIND DIE FOLGEN VON GEWALT IN DER KINDHEIT?

Gewalt in der Kindheit hat verheerende Folgen für die Kinder, sowohl für ihre psychische als auch körperliche Gesundheit. Das Risiko für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen wie etwa Angststörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen ist bei den betroffenen Kindern erhöht. Selbst die Gehirnstrukturen verändern sich infolge von Gewalterfahrungen.

Darüber hinaus steigert erfahrene Gewalt das Risiko, erneut Gewalt im Leben zu erfahren oder auch selbst gewalttätig zu werden. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, Kinder vor emotionaler und körperlicher Gewalt zu schützen.

WAS KANN ICH TUN, WENN ICH MEINE KINDER SCHLAGE?

Wenn Sie sich selbst gegenüber eingestehen können, dass Sie Gewalt ausgeübt haben, ist das ein erster möglicher Schritt, um aus der Gewaltspirale auszusteigen. Wichtig ist es an dieser Stelle den bzw. die Auslöser für die Gewalt ausfindig zu machen und sie nach Möglichkeit zu reduzieren oder bestenfalls ganz zu eliminieren.

Bei Erziehungsschwierigkeiten kann es hilfreich und entlastend sein, eine entsprechende (beispielsweise psychologische) Beratungsstelle aufzusuchen, sich freundschaftliche und/oder familiäre Unterstützung zu suchen und gegebenenfalls auch eine Psychotherapie zu beginnen. Dabei geht es nicht darum, Ihnen Ihr Kind zu entziehen, sondern darum, sowohl den Ursachen auf den Grund zu gehen als auch nach konkreten Lösungsstrategien zu suchen, die die Ausübung von Gewalt verhindern. 

Greifen Sie auf Unterstützung zurück, wenn Sie bemerken, dass Sie wiederholt die Kontrolle über Ihr Handeln verlieren.

Führen Sie sich die weitreichenden Konsequenzen für Ihr Kind vor Augen, wenn Sie einen vermeintlichen Sieg über das sogenannte „Fehlverhalten“ (was häufig nichts anderes darstellt, als die ganz normale Entwicklung kindlichen Autonomiestrebens – oder der Lernprozess, die eigenen kindlichen Emotionen zu regulieren) erringen.

Versetzen Sie sich in die Perspektive Ihres Kindes, wenn Ihre Gefühle hochkochen und Sie den Impuls, es verbal oder körperlich anzugehen, verspüren – es ist Ihnen und Ihrem Verhalten in seiner kindlichen Ohnmacht und Hilflosigkeit ausgeliefert.

Fragen Sie sich immer wieder, ob Sie auch mit den Erwachsenen in Ihrem Umfeld so umgehen würden, wie Sie es mit Ihrem Kind tun (Drohen, Schreien, Schläge etc.).

Lernen Sie Ihre Triggerpunkte kennen und bereiten Sie sich auf herausfordernde Situationen vor (Termindruck, Schlafmangel, scheinbar fehlende Kooperation, das Abdecken eigener Grundbedürfnisse wie Durst, Hunger, Toilettengang etc.).

Und ganz wichtig: Gestehen Sie Ihrem Kinder gegenüber ein, dass Ihr Verhalten nicht in Ordnung war. Bitten Sie Ihr Kind um Entschuldigung, erklären Sie ihm, dass Ihr Verhalten falsch war und nicht vorkommen darf.

Photo by Jackson David on Unsplash
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WARUM SIE NICHTS VERZEIHEN MÜSSEN

Häufig verlangen die betagten Eltern, die „Vergangenheit doch endlich ruhen zu lassen“, es sei schließlich alles „nicht so schlimm gewesen“, „alle hätten es so gemacht“, „damals wäre es erlaubt gewesen“ und „geschadet hätte es ja auch nicht“. (Und indirekt häufig auch die Frage: „Und wer wisse schon, was heute aus Ihnen geworden wäre, wenn man Sie nicht geschlagen hätte?“) 

Nein, Sie müssen Ihren Eltern weder vergeben noch verzeihen. Sie müssen es auch nicht vergessen oder verdrängen, um ein zufriedenstellendes und glückliches Leben führen zu können.

Sie dürfen es, wenn Sie es möchten und sich die Vergebung stimmig für Sie anfühlt – aber Sie müssen es nicht, weil es von Ihnen erwartet oder verlangt wird.

Es gibt eine gleichermaßen berührende wie ergreifende Szene im Film „Good Will Hunting“ mit den Schauspielern Matt Damon und Robin Williams, in der Robin Williams in der Rolle des Therapeuten die Worte „Du kannst nichts dafür.“ mehrfach wiederholt, um Will – seinem Patienten (Matt Damon) – zu verdeutlichen, dass er keine Schuld an dem trug, was ihm in der Kindheit widerfahren war.

Diese Worte wiederholt er immer wieder, bis sein Patient Will (Matt Damon) dem erlittenen Schmerz über seine gewaltvolle Kindheit freien Lauf lassen kann und dabei Halt, Fürsorge und Verständnis erfährt. 

SIE KONNTEN NICHTS DAFÜR

In seinem Leid gesehen zu werden und es sich selbst zuzugestehen, Leid erfahren zu haben, als man klein und ohnmächtig war, sich nicht wehren oder schützen konnte, kann sehr schmerzvoll und befreiend zugleich sein. 

Das, was Sie erlebt und erfahren haben, war weder Ihre Schuld noch Ihre Verantwortung. Sie konnten nichts dafür.

Sie konnten nichts dafür.

Photo by Mercedes Bosquet on Unsplash
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Meine Frage an Sie:

Haben Sie in Ihrer Kindheit Gewalt erfahren? Gab es jemanden, der Sie unterstützte und für Sie da war? Was würden Sie dem Kind von damals heute gerne sagen?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie müssen weder vergeben noch verzeihen, nur weil es von Ihnen erwartet oder verlangt wird
  • Sie dürfen den Schmerz zulassen und trauern – und Sie dürfen ihn mit der Zeit auch Stück für Stück loslassen.
  • Es war nicht Ihre Schuld.
  • Es. War. Nicht. Ihre. Schuld.

Wenn Sie bei diesem Prozess eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

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© 2023 Romy Fischer

Scham – das unerträgliche Gefühl, ein Fehler zu sein

Photo by Stefano Pollio on Unsplash
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Scham – das unerträgliche Gefühl, ein Fehler zu sein 

Scham ist eine der Emotionen, die am schwierigsten auszuhalten ist, denn sie erstreckt sich nicht nur auf unsere Handlungen, sondern auf unser gesamtes Selbst. Wer sich schämt, möchte im Erdboden versinken, unsichtbar werden oder gar ganz aufhören, zu existieren. Oft ist sie mit einem tiefen Gefühl der eigenen Unvollkommenheit verknüpft und der Annahme, weder liebenswert noch kompetent zu sein.

Sich zu schämen, kann gleichbedeutend mit der Meinung über sich selbst sein, keine Existenzberechtigung zu haben, unerwünscht zu sein oder eine völlige Fehlkonstruktion. Ein Fehler, den es auszumerzen gilt.

Wie tiefgreifend Scham das Leben beeinflussen und beeinträchtigen kann und warum sie trotz allem eine wichtige Funktion hat, erfahren Sie im heutigen Beitrag.

SCHAM UND SCHULD

Während das Empfinden von Schuld bzw. Schuldgefühlen sich häufig auf ein reales oder vermeintliches (Fehl-) Verhalten bezieht, stellt das Schamerleben eine Emotion dar, die fundamental ist und das eigene Selbst massiv zu entwerten droht – bis hin zu massiven Suizidgedanken.

Literarisch wird dieses Erleben etwa in der Novelle „Leutnant Gustl“ von Arthur Schnitzler verarbeitet. Darin wird erzählt, wie der junge Leutnant Gustl während einer Konfrontation mit einem Bäcker in seiner militärischen Ehre als Offizier so stark verletzt wird, dass er keine Alternative zum Suizid sieht.

Photo by Aaron Burden on Unsplash
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MÖGLICHE URSPRÜNGE VON SCHAM 

Scham – das unerträgliche Gefühl, ein Fehler zu sein. Woher kommt dieses Erleben eigentlich? Oftmals nimmt es seinen Anfang bereits in der frühen Kindheit – im Kleinkindalter ab ungefähr zwei bis drei Jahren. Das Schamerleben der engsten Bezugspersonen – in der Regel die Eltern – spielt dabei eine große Rolle. 

Eigene und übernommene Wertvorstellungen, Normen, Traditionen und kulturelle Praktiken prägen das elterliche Schamempfinden. Das kann sich auf die eher körperlichen Aspekte (beispielsweise Nacktheit, Lustempfinden), auf die Emotionen (zum Beispiel Wut, Trauer) oder auch auf die Vorstellung darüber, was richtig oder falsch ist (etwa Männer dürfen nicht weinen, Frauen sollen weiblich sein), beziehen.

Körperliche Nähe zum eigenen Kind kann dann beispielsweise als schambesetzt erlebt werden, was zu einer Distanzierung auf körperlicher, aber zugleich auch emotionaler Ebene führt. Ebenso kann das Stillen oder Wickeln mit Gefühlen von Scham verbunden sein; aber auch im weiteren Verlauf kann das bloße Verhalten des Kindes Scham bei den Eltern auslösen (wie kindliche Wutausbrüche in der Öffentlichkeit). Dies ist bekannt als sogenannte Fremdscham. 

Bei Fremdscham etwa werden ähnliche Hirnareale aktiviert, wie beim Anblick körperlichen Schmerzes von anderen Personen. Damit ist das Schamerleben stark körperlich verankert und zählt zu den aversiven, d. h. unangenehmen Emotionen.

Photo by charlesdeluvio on Unsplash
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TRAUMATISCHE SCHAM – WENN ELTERN SCHAM ALS ERZIEHUNGSMETHODE MISSBRAUCHEN 

Das Resultat einer Erziehung, die auf Scham und Beschämung ausgelegt ist, ist häufig ein braves und angepasstes Kind. Im Extremfall ist es so angepasst und ausgerichtet auf die elterlichen Erwartungen, dass es zum Vorzeige-Kind mutiert, indem es eigene Bedürfnisse verleugnet oder gar nicht mehr wahrnehmen kann, existenziell abhängig vom elterlichen Wohlgefallen ist und eine innere Einsamkeit und Leere in sich spürt.

Meist legen die Eltern von sogenannten Vorzeige-Kindern großen Wert auf die intensive Förderung ihres Nachwuchses: Sie investieren viel Zeit und Geld und scheuen keine Mühe, um ihren Kindern den Platz zu sichern, der ihnen nach elterlicher Meinung rechtmäßig zusteht. Doch Kinder, die daran gewöhnt sind, stets wie Vorzeigeobjekte behandelt zu werden, bemessen ihren Wert zunehmend nur noch daran, wie „vorzeigbar“ sie sind – in ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrer schulischen Leistung, ihren Erfolgen im Sport und/oder ihrem grundsätzlichen Verhalten im Umgang mit anderen. (aus Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Vorzeige-Kindes)

Ein weiterer Schutzmechanismus besteht darin, die erlebte Scham damit abzuwehren, die Rolle des Clowns zu übernehmen und über sich selbst zu lachen, bevor es jemand anderes tut. Obwohl Humor eine hilfreiche Strategie gegen das Schamerleben darstellt, kann sie – wenn sie die einzige Reaktion darstellt – sich ins Gegenteil verkehren. Wer sich selbst niemals ernst nimmt, hält es dann auch häufig nicht aus, von anderen wirklich ernst genommen zu werden. Der Humor und das Lachen werden zu einer schützenden Fassade, hinter der sich Gefühle wie Einsamkeit, Trauer, Angst oder Leere verbergen. (aus Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Clowns)

Jemanden zu beschämen – insbesondere dann, wenn es sich um die kleinsten und schutzlosesten unserer Mitmenschen handelt, die Kinder und Jugendlichen – greift das fundamentale Erleben des Selbst an.

Einem beschämten Kind wird vermittelt, dass es falsch sei, mit ihm etwas ganz und gar nicht stimme, es ein Fehler sei oder sogar besser gar nicht erst existiere. Die Folgen sind gravierend und können von einem geringen Selbstwertgefühl bis hin zu wiederkehrenden Suizidgedanken reichen.

Photo by Paul Kapischka on Unsplash
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WARUM SCHAM TROTZDEM WICHTIG IST

Scham hat allerdings nicht nur Schattenseiten, sondern erfüllt auch überaus wichtige Funktionen im sozialen Miteinander. Wann immer es um die Einhaltung von Normen und Werten geht, kann das Schamgefühl ein wichtiger Signalgeber dafür sein, was in der sozialen Umgebung angebracht ist und was nicht. Dies ist kulturell geprägt und bezieht sich auf unterschiedliche Lebensbereiche.

Verhaltensweisen, die beispielsweise im Privaten völlig in Ordnung sein können – Nacktheit in den eigenen Wohnräumen etwa – können im öffentlichen Raum nicht nur als anstößig erlebt werden, sondern auch rechtliche Folgen nach sich ziehen. In Abhängigkeit vom Kontext, von räumlicher und zeitlicher Dimension (aber auch Geschlecht, sozialem Status oder Alter) können die Bewertungen dabei ganz unterschiedlich ausfallen.

Wenn wir bei der individuellen Scham bleiben, so lässt sich das Schamerleben als eine gesunde Grenze dessen definieren, was unsere menschliche Würde und damit unser Menschsein schützt. Scham hat somit eine Schutzfunktion inne, indem sie eine Grenze markiert, die sich auf körperlicher Ebene sehr deutlich zeigt: Erröten, Herzklopfen, Schwitzen oder auch Ohnmachtsgefühle.

Photo by Ian Keefe on Unsplash
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ANZEICHEN FÜR EINE UNGESUNDE SCHAM

Vielleicht stehen Sie jetzt vor der Frage, ob das Ausmaß an Scham, das Sie regelmäßig erleben, noch in einem „normalen“ Rahmen liegt oder ob Sie an ungesunder Scham leiden. Um Ihnen dabei zu helfen, diese Frage zu beantworten, möchte ich Ihnen einige Aspekte nennen, die eher für eine ungesunde Scham bzw. ein ungesundes Schamerleben sprechen.

Folgende Anzeichen sprechen für eine ungesunde Tendenz:

    • Ihr Schamerleben hindert Sie daran, Dinge in Angriff zu nehmen, die Ihnen wichtig sind und am Herzen liegen.
    • Sie schrecken vor engen Beziehungen zurück, weil Sie befürchten, dass der bzw. die Andere Sie so sehen könnte, wie Sie wirklich sind.
    • Es fällt Ihnen sehr schwer, sich authentisch zu zeigen. Lieber flüchten Sie sich hinter eine Maske oder Fassade, um Ihr wahres Selbst zu verbergen.
    • Ihr Schamerleben schränkt Ihren Alltag massiv ein; Sie ziehen sich sozial zurück, können (entgegen Ihrem Wunsch) keiner Berufstätigkeit nachgehen und empfinden immer weniger Lebensfreude und -zufriedenheit.
    • Beziehungen scheitern immer wieder an dem Punkt, an dem es darum geht, sich seinem Partner bzw. seiner Partnerin zu öffnen und dabei auch verletzlich zu zeigen.
    • Sie fühlen sich falsch, ganz gleich, was Sie tun oder nicht tun. Sie glauben nicht, dass es eine Rolle spielt, ob Sie leben.
    • Sie kämpfen immer wieder mit Suizidgedanken.

Was Sie tun können

Der erste Schritt besteht zunächst einmal darin, sich der schmerzvollen Emotion bewusst zu werden, um sie in einem weiteren Schritt zu akzeptieren. Das bedeutet nicht, sie hinzunehmen oder zu resignieren, sondern den Ist-Zustand – das Gefühl von Scham – anzunehmen und den Schmerz darüber zuzulassen. Gerade dann, wenn es sich um einen alten Schmerz handelt, ist es wichtig, behutsam mit sich und seinen Emotionen umzugehen. 

Je stärker Ihr Schamerleben ist und je mehr es Sie in Ihrem Alltag, Ihren Beziehungen, Ihrem Beruf und Ihren Freizeitaktivitäten einschränkt, desto wichtiger ist es, dass Sie sich dabei professionell unterstützen lassen. Bei traumatischer Vorgeschichte und starker Belastung ist meiner Erfahrung nach eine Psychotherapie sehr sinnvoll. Zur Suche nach einem freien Therapieplatz können Sie Ihre Krankenkasse kontaktieren, die in der Regel eine Liste von Psychotherapeut:innen bereitstellt.

Dabei sollten Sie sich keinesfalls entmutigen lassen, auch wenn die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz unzumutbar lang ist. 

Photo by Mercedes Bosquet on Unsplash
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Meine Frage an Sie:

Wie ist Ihr Verhältnis zur Scham? Was hätten Sie sich als Kind und/oder Jugendliche in für Sie beschämenden Momenten gewünscht? Wie gehen Sie heute damit um, wenn Sie Scham empfinden?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie sind wertvoll. Ohne Wenn und Aber.

Wenn Sie bei dem Prozess der Aufarbeitung Ihrer Scham bzw. eines übermäßigen Schamerlebens eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir. Sofern allerdings traumatische Ereignisse in Ihrem Leben vorlagen, lege ich Ihnen eine Psychotherapie nahe.

 

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© 2023 Romy Fischer

Schuldgefühle: Warum ich mich immer schuldig fühle

Photo by Omar Prestwich on Unsplash
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Schuldgefühle: Warum ich mich immer schuldig fühle 

Schuldgefühle: Warum ich mich immer schuldig fühle. Schuldgefühle sind bis zu einem gewissen Grad ein „normaler“ Teil unseres Lebens, wenn sie uns etwa darauf aufmerksam machen, dass wir uns falsch verhalten haben und uns aufgrund dieses Fehlverhaltens nun schuldig fühlen. 

Wenn Ihnen allerdings Sätze wie Du bist schuld! oder Das ist alles deine Schuld! auf eine unangenehme Art und Weise sehr vertraut vorkommen und Schuldgefühle eine der ersten Reaktionen bilden, in denen andere mit Wut, Ärger oder Überraschung reagieren würden, kann das ein erster Hinweis darauf sein, dass Sie an einer ungesunden Form von Schuldgefühlen leiden.

Welche Auswirkungen es hat, unter kontinuierlichen bzw. auch reflexhaften Schuldgefühlen zu leiden und wie Sie sich von diesen distanzieren können, erfahren Sie im heutigen Beitrag.

Photo by Donald Giannatti onUnsplash
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SCHULD VS. SCHULDGEFÜHLE

Fühlen Sie sich oft schuldig, auch ohne eine konkrete Ursache oder ein konkretes Fehlverhalten Ihrerseits benennen zu können?

Schuldgefühle können hartnäckige Begleiter sein, die sich nur schwer abschütteln lassen. Manche von ihnen entstehen bereits in der Kindheit und Jugend und verfolgen einen bis ins hohe Erwachsenenalter.

Gefühle der Schuld stellen das subjektive Erleben einer Person dar. Sie lassen sich nicht quantifizieren – also in ein Zahlen- oder Mengenverhältnis übersetzen – im Sinne von „ich fühle mich schuldiger als du“. Außerdem sind sie keinesfalls immer mit einem Verhalten verknüpft, das sie hervorruft. Tatsächlich könnte sich jemand immer richtig verhalten und richtig handeln und trotzdem unter Schuldgefühlen leiden oder sich schuldig fühlen.

Im juristischen Kontext spricht man bei Schuld in der Regel von einem normativen Schuldbegriff. Damit wird die „individuelle Vorwerfbarkeit der strafbedrohten Tat“ bezeichnet. Schuldhaftes Handeln ist dabei entweder vorsätzlich oder fahrlässig; als schuldfähig gilt jede Person ab einem Alter von 14 Jahren. 

Quelle: https://www.juraforum.de/

Photo by Naveen Kumar on Unsplash
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SCHULDGEFÜHLE STABILISIEREN DAS FAMILIENSYSTEM

Schuldgefühle: Warum ich mich immer schuldig fühle

Nicht selten sind Schuldgefühle, die Sie über einen langen Zeitraum hinweg begleiten, mit früh erworbenen Glaubenssätzen verknüpft. Gerade Kinder sind sehr sensibel für die verbalen und nonverbalen Äußerungen ihrer engsten Bezugspersonen. Wurde ihnen schon früh vermittelt, für schlechte Stimmung innerhalb der Familie, die Befindlichkeiten der Familienmitglieder oder auch äußere Umstände wie gescheiterte Karrieren, Jobverluste, Krankheiten wie Depression oder Alkoholabhängigkeit verantwortlich zu sein, hat das langfristige Konsequenzen auf unterschiedlichen Ebenen.

Das Perfide an Schuldgefühlen ist, dass sie nicht nur als quälend erlebt werden, sondern mit der Zeit zu einem Teil der eigenen Identität werden können.

Ein extremes Beispiel hierfür ist die Rolle des Sündenbocks bzw. des schwarzen Schafs in der Familie, das die personifizierte Schuld repräsentiert. In ihm konzentriert sich quasi alle Schuldhaftigkeit und Verantwortung innerhalb des Familiensystems, was es entlastet und stabilisiert zugleich.

Photo by Jordan McQueen on Unsplash
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MAX‘ UNBERECHTIGTE SCHULDGEFÜHLE 

Schuldgefühle können tief verankert sein. Bei vielen Menschen, die von Schuldgefühlen regelrecht heimgesucht werden, bilden sie sogar einen nicht zu trennenden Teil der eigenen Identität. Es gelingt ihnen dann nicht mehr, zwischen berechtigten Schuldgefühlen, die als Reaktion auf ein Fehlverhalten hin entstanden sind, und Schuldgefühlen, die jeglicher nachvollziehbaren Grundlage entbehren, zu unterscheiden.

Ein Beispiel hierfür wäre, dass jemand starke Schuldgefühle empfindet, weil er oder sie einen (einfachen) Gefallen abschlägt. Um diesen Gefühlen nicht ausgeliefert zu sein, liefert die Person etwa viele wortreiche Entschuldigungen und/oder versucht – oft sogar vorauseilend – Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um den Gefallen doch noch zu ermöglichen, ohne dabei auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. 

DER BRAVE MAX

Nennen wir diese Person der Einfachheit halber Max. Max gilt als hilfsbereiter Mensch, der immer einspringt, wenn Not am Mann ist. Ein Nein kommt ihm so gut wie nie über die Lippen und falls es doch einmal passiert, wird er von unerträglichen Schuldgefühlen geplagt. Ihr Ursprung liegt – wie bei vielen von Schuldgefühlen Geplagten – in seiner Kindheit. Er wurde dazu erzogen, einem bestimmten Bild zu entsprechen, das die Eltern sich von ihm machten. In seinem Fall das des braven, verantwortungsvollen, hilfsbereiten Jungen, der die Eltern unterstützt und ihnen keinen Kummer oder Sorgen bereitet. Tat er dies nicht, wurde ihm der oft unausgesprochene Vorwurf gemacht, für das Leid und die Sorgen der Eltern – also ihr Wohlbefinden – verantwortlich zu sein. Aus dem kindlichen schlechten Gewissen entwickelten sich auf diese Weise über die Zeit hinweg immer stärker ausgeprägte Schuldgefühle, die sich auf verschiedene Lebensbereiche ausdehnten.

Zunächst einmal ist der Wunsch der Eltern nicht verwerflich, aber es erlegt dem Jungen eine schwere Last auf, unter der er womöglich nicht zerbrechen, die ihm aber langfristig schaden wird. Denn natürlich kann Max gar nicht anders, als diesem Bild zu irgendeinem Zeitpunkt nicht zu entsprechen. Das kann während der Pubertät und der Abnabelung von den Eltern passieren oder auch erst, wenn er von zu Hause auszieht, um zum ersten Mal auf eigenen Beinen zu stehen.

Selbst heute noch reagiert Max mit Schuldgefühlen, wenn er annimmt, dass das Wohlbefinden anderer von ihm und seinem Verhalten abhängt. Dazu müssen nicht einmal verbale Vorwürfe fallen, er antizipiert sie bereits, d. h. er nimmt sie vorweg und fühlt sich bereits dann schuldig, wenn er einmal „Nein“ sagen muss – ganz gleich, wie berechtigt sein Nein auch sein mag. 

Photo by Jordan Madrid on Unsplash
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WAS MAN GEGEN UNBERECHTIGTE SCHULDGEFÜHLE TUN KANN – UND WAS NICHT

Schuldgefühle sind häufig sehr hartnäckig und der Vernunft oft nicht zugänglich. Sie können sich unter Umständen durchaus im Klaren darüber sein, dass Ihre Schuldgefühle in einer bestimmten Situation unberechtigt und sogar unangebracht sind, aber gegen Ihre Emotion kommen Sie rational in der Regel nicht an.

Zunächst einmal ist es wichtig zu unterscheiden, ob es sich um berechtigte oder unberechtigte Schuldgefühle handelt. Haben Sie sich etwa falsch verhalten, dann sind Ihre Schuldgefühle eine „normale“ oder „gesunde“ Reaktion auf dieses Fehlverhalten, das nach Klärung verlangt. Das könnte etwa eine Entschuldigung oder Wiedergutmachung sein – unter Umständen auch erst einmal das Bekenntnis zur Schuld.

PROFESSIONELLE UNTERSTÜTZUNG SUCHEN

Handelt es sich bei Ihren Schuldgefühlen jedoch um ein wiederkehrendes Muster, das häufig völlig losgelöst von konkreten Situationen und Personen existiert, dann kann es sehr sinnvoll sein, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und der bzw. den möglichen Ursachen auf den Grund zu gehen. Das löst die Schuldgefühle in der Regel nicht auf, liefert Ihnen jedoch eine erste Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet Sie sich immer schuldig fühlen. Insbesondere in der Rolle des Sündenbocks innerhalb einer Familie bilden Schuldgefühle häufige „Begleiterscheinungen“ oder auch „Nebenwirkungen“, gerade dann, wenn Beschuldigung als Erziehungsmethode angewandt wurde („Deinetwegen geht es mir schlecht. / Wegen dir wurde ich unglücklich. / Du bist der Grund dafür, dass es bei uns so zugeht. / Wärst du mehr wie [beliebige Person], dann wäre alles gut.“).

In letzterem Fall ist es sehr schwierig, das Emotions- und Verhaltensmuster allein und ohne professionelle Unterstützung auflösen zu wollen. Je nach Schweregrad und Beeinträchtigung Ihres Lebens käme dann eine psychologische Beratung oder auch eine Psychotherapie in Betracht. Gerne würde ich Ihnen berichten, dass das Befolgen von 5 Schritten dazu führt, sich weniger schuldig zu fühlen – aber dem ist nicht so. Vielmehr benötigt es die Perspektive von außen, eine neutrale Person, mithilfe derer Sie gemeinsam Stück für Stück die Schuldgefühle betrachten, verstehen und schließlich loslassen können. Denn trotz ihrer verheerenden Wirkung sind sie nicht selten so vertraute Begleiter und enge Bekannte, dass es schwerfällt, sich auf neue Gefühle einzulassen. Und wo die Schuldgefühle fehlen, klafft zunächst eine Lücke auf, die es auszuhalten und im Laufe der Zeit mit neuen Gefühlen zu füllen gilt. Etwa berechtigter Ärger, Traurigkeit, Wut – aber auch Freude, Leichtigkeit und Glück.

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Meine Frage an Sie:

Wie alt sind Ihre Schuldgefühle? Wer machte Ihnen häufig Schuldgefühle? Wie sind Sie mit diesen Gefühlen umgegangen bzw. wie gehen Sie heute mit ihnen um?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie sind nicht Ihre Schuldgefühle

Wenn Sie bei dem Prozess des Auflösens Ihrer Schuldgefühle eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

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© 2023 Romy Fischer

Dysfunktionale Familie: Sündenböcke und emotionale Gewalt

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Dysfunktionale Familie: Sündenböcke und emotionale Gewalt 

Dysfunktionale Familie: Sündenböcke und emotionale Gewalt. Emotionale Gewalt oder auch psychische Gewalt hat viele Gesichter.
Während körperliche Gewalt oftmals Spuren hinterlässt, die für andere sichtbar werden, sind die Spuren körperlicher oder psychischer Gewalt häufig unsichtbar.

In dysfunktionalen Familien können beide Arten von Gewalt gemeinsam auftreten und dabei langfristige Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen nach sich ziehen. Eine klare Grenzziehung zwischen diesen beiden Arten von Gewalt ist trotzdem nicht so einfach, wie man vermuten könnte.

Wie die Rolle des Sündenbocks in der Familie und emotionale Gewalt zusammenhängen und welche Folgen letztere hat, erfahren Sie im heutigen Beitrag.

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WIE MAN ZUM SCHWARZEN SCHAF (GEMACHT) WIRD 

Der Sündenbock bzw. das schwarze Schaf in der Familie ist oft am höchsten gefährdet, Opfer von emotionaler und körperlicher Gewalt zu werden.

Wie ich bereits in im Artikel zum Thema Sündenbock erklärt habe, ist es nicht die Verantwortung oder gar Schuld des Kindes, in diese Rolle hineingeraten zu sein bzw. diese im Familiensystem zugewiesen bekommen zu haben. Vielmehr liegt die Ursache in den engsten Bezugspersonen begründet, in der Regel die Eltern, die meist aufgrund ihrer eigenen Vorgeschichte und ihren Erfahrungen so handelten, wie sie es taten. Dabei musste es sich keineswegs um vorsätzliches Verhalten handeln.

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WAS VERSTEHT MAN UNTER EMOTIONALER GEWALT?

Emotionale, psychische oder auch seelische Gewalt umfasst ein breites Spektrum von Verhaltensweisen, die eine Gewaltausübung beschreiben, welche ohne Schläge auskommt.
Stattdessen werden andere Formen von Gewalt angewandt, die sich nicht nur schwerer fassen lassen, sondern auch durch ihre Subtilität auf den ersten Blick nicht einmal als gewaltsam eingeordnet werden (können). Gleichwohl zählen sie als Misshandlungen, die ihre Spuren in die Betroffenen einschreiben.

Dazu zählt etwa permanente Kritik, Herabsetzungen und Beleidigungen, Drohungen oder Nötigung, Ablehnung in Form von Ignoranz und Isolation, Liebesentzug, das Einreden bzw. Erzeugen von Schuldgefühlen, Parentifizierung, als Partnerersatz für die Bezugspersonen herhalten/dienen zu müssen, weitere emotionale Bedürfnisse der Bezugspersonen befriedigen zu müssen oder auch Vernachlässigung.

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DIE KONSEQUENZEN VON EMOTIONALER GEWALT

Die Folgen von emotionaler Gewalt können verheerend sein. Je jünger die Betroffenen sind, desto gravierender sind sie in der Regel. Besonders tragisch ist dabei, dass emotionale Gewalt nach außen hin – also für andere Menschen im Umfeld – nicht als solche wahrgenommen wird und Hilfe und Unterstützung deshalb oft ausbleiben. Unter Umständen wird die Erfahrung emotionaler Gewalt sogar heruntergespielt oder gar gänzlich negiert, was das Leid und die Not der Betroffenen um ein Vielfaches verstärkt.
Denn neben der erlebten Gewalt wird den Betroffenen das Erlebte abgesprochen, ihre Gefühle invalidiert, d. h. ungültig gemacht, was dazu führen kann, dass die schmerzvollen Erlebnisse umso schwerer verarbeitet werden können. Die erlebte Realität wird infrage gestellt, was anstelle einer Heilung zu einer weiteren Wunde, einer weiteren Verletzung beiträgt.

Wenn ein Kind von den Menschen Gewalt erfährt, von denen es existenziell abhängig ist, befindet es sich in einem unauflöslichen Konflikt. Einerseits ist es unbedingt und absolut abhängig von der Liebe und Fürsorge seiner Bezugspersonen, andererseits macht es wiederholt die Erfahrung, dass ihm diese großes Leid zufügen. Um diesen Konflikt auszuhalten – denn ein Auflösen ist nicht möglich – kann das Kind auf verschiedene Arten reagieren.

MÖGLICHE REAKTIONEN AUF EMOTIONALE GEWALT

Es kann beispielsweise nach Gründen suchen, die das misshandelnde Verhalten der Bezugspersonen rechtfertigen. Dies geschieht, indem das Kind sich selbst zum Sündenbock macht und die vermeintliche Schuld auf sich nimmt. Die Misshandlungen werden dann als gerechtfertigte Strafe umgedeutet, weil die Vorstellung, dass die engsten und zugleich existenziell bedeutsamen Bezugspersonen aus Willkür, Absicht oder sogar systematisch misshandeln, sich unerträglich und sogar lebensbedrohlich anfühlen kann. Die Schuld auf sich zu nehmen und damit einen vermeintlich logischen, weil nachvollziehbaren Grund gefunden zu haben, ist aus der kindlichen Perspektive das vergleichsweise geringere Übel. Es schafft die Illusion von potenzieller Kontrolle des Kindes, das nun glaubt, mit dem entsprechenden Verhalten weitere Gewalt abwenden oder zumindest auf irgendeine Art regulieren zu können. Diese Form der Schuldumkehr – oder auch Umkehr der Verantwortung – geschieht jedoch zu einem teuer erkauften Preis, nämlich auf Kosten der eigenen psychischen Gesundheit.

Keineswegs handelt es sich dabei um eine freiwillige oder etwa bewusst getroffene Entscheidung, sondern um den oftmals verzweifelten Versuch, das Unerträgliche erträglich, das Unaushaltbare aushaltbar zu machen. Jedoch kann dem Kind die Rolle des Sündenbocks auch unmittelbar von den Bezugspersonen zugewiesen werden, indem diese ihr eigenes Verhalten durch Schuldzuweisungen an das Kind oder in Form von vorgeschobenen Gründen (die sie möglicherweise auch selbst glauben) zu rechtfertigen versuchen.

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DYSFUNKTIONALE FAMILIE: SÜNDENBÖCKE UND EMOTINALE GEWALT: WIE SICH EMOTIONALE GEWALT ÜBERWINDEN LÄSST

Emotionale, seelische oder psychische Gewalt hinterlässt oft tiefe Spuren. Sie kann sich auf die Wahrnehmung der Realität auswirken, zu massiven Selbstzweifeln sowie zu einem niedrigen Selbstwertgefühl führen. Das Führen und die Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen wie Freundschaften oder Partnerschaften können stark darunter leiden bzw. beeinträchtigt sein. Zudem steigt das Risiko, sich erneut in misshandelnde Beziehungen zu begeben und sich nicht dauerhaft aus ihnen lösen zu können.

Am Anfang steht oftmals der schmerzhafte Prozess der Bewusstwerdung und des Anerkennens dessen, was man als Kind oder Jugendliche:r erlebt hat.
Das kann mit starken Emotionen wie Trauer, Wut, Verzweiflung und Ohnmacht verbunden sein. Ein erster Schritt auf dem Weg zur Überwindung des Erlebten kann daher sein, sich einen geschützten Ort zu suchen, an dem für diese Emotionen Raum ist. Dies kann ein realer, existierender Ort sein oder aber auch ein Ort in Ihrer Vorstellung. Für letzteren gibt es eine Vielzahl von Anleitungen im Internet, mithilfe derer Sie einen solchen imaginären Vorstellungsraum erschaffen können.

Wenn Sie mehr über die Ursachen und Folgen von körperlicher Gewalt erfahren möchten, empfehle ich Ihnen diesen Artikel: Gewalt in der Familie – Generation geschlagene Kinder

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WAS SIE IN AKUTEN BELASTUNGSSITUATIONEN TUN KÖNNEN

Wenn Sie bemerken, dass Ihre Emotionen Sie zu überrollen drohen, ist der Zugriff auf kognitive Funktionen, d. h. rationales und besonnenes Handeln oftmals stark erschwert. Impulsive Handlungen im Affekt können die Folge sein, wie etwa selbst- oder fremdschädigendes Verhalten, aber auch sozialer Rückzug oder die Vermeidung potenziell auslösender Situationen sind denkbar.

In Situationen von akuter emotionaler Überforderung kann es hilfreich sein, sich auf die natürlichste Funktion des menschlichen Körpers zu besinnen: Den Atem. Eine hilfreiche Atemübung, die Ihnen dabei hilft, sich selbst wieder zu regulieren, stelle ich Ihnen zum kostenlosen Download unter diesem Link zur Verfügung.

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Meine Frage an Sie:

Haben Sie als Kind und/oder Jugendliche:r emotionale Gewalt erlebt? Hatten Sie jemandem in Ihrem Umfeld, dem oder der Sie sich anvertrauen konnten? Was hätten Sie gebraucht?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie haben es zu keinem Zeitpunkt verdient, emotionale oder psychische Gewalt zu erfahren. Stattdessen hätten Ihnen Schutz, liebevolle Fürsorge und Halt zugestanden.

Wenn Sie bei diesem Prozess der Aufarbeitung von emotionaler Gewalt eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

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Wie Familienrolle und der Selbstwert zusammenhängen

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Wie Familienrolle und Selbstwert zusammenhängen 

Zwischen dem Selbstwertgefühl und der Familienrolle besteht ein enger Zusammenhang. Je nachdem, welche Rolle man in seiner Familie innehatte, hatte das massive Auswirkungen darauf, für wie wertvoll man sich bis heute (größtenteils unbewusst) hält.

Wie die Familienrolle und der Selbstwert zusammenhängen und warum es sich lohnt, an seinem Selbstwertgefühl zu arbeiten, erfahren Sie im heutigen Beitrag.

SELBSTWERT UND SELBSTWERTGEFÜHL

Da im allgemeinen Sprachgebrauch die beiden Begriffe Selbstwert und Selbstwertgefühl synonym gebraucht werden, möchte ich kurz unterstreichen, dass das Selbstwertgefühl das subjektive Gefühl dessen ist, was man wert zu sein glaubt.

Korrekterweise müsste man daher vom Selbstwertgefühl sprechen, denn der Wert eines jeden Menschen ist gleich: Jeder Mensch ist gleich viel wert – keiner weniger oder mehr als der andere. 

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WIE DIE FAMILIENROLLE DEN SUBJEKTIVEN SELBSTWERT BEEINFLUSST

Familie als solche, aber auch die darin eingenommene bzw. zugewiesene Rolle innerhalb einer Familie, hat einen großen Einfluss darauf, mit welchem Selbstwertgefühl ein Kind heranwächst.

Dabei muss es keineswegs eine dysfunktionale Rolle sein – es kann sich dabei auch um bestimmte elterliche Erwartungen an das Kind handeln, die seinen gefühlten Selbstwert beeinflussen.

So werden beispielsweise bereits an Jungen und Mädchen unterschiedliche Erwartungen herangetragen: Mädchen sollen „brav sein“, werden öfter in den Haushalt eingebunden und werden häufig in die Rolle der Kümmernden gedrängt, insbesondere dann, wenn Geschwister vorhanden sind.

Jungen hingegen sollen „tapfer sein“, ihre Emotionen verbergen und/oder mit sich selbst ausmachen sowie unabhängig(er) sein – oder als große Brüder besonders auf ihre kleinere Schwester „aufpassen“.

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FOLGEN EINES GERINGEN SELBSTWERTGEFÜHLS

Da das Kind sich angepasst und unauffällig verhält, in der Regel das tut, was ihm aufgetragen wird und sich stets darum bemüht, niemandem zur Last zu fallen, entsteht bei den Eltern der Eindruck, ein „pflegeleichtes“ oder „wohlgeratenes“ Kind zu haben.

Nur allzu oft resultiert das brave bzw. folgsame Verhalten jedoch daraus, dass das Kind von seinen Bezugspersonen in die Rolle des gehorsamen, vernünftigen Kindes hineingedrängt wurde.

Doch nicht nur die angepassten Kinder sind davon betroffen. Es betrifft auch jene Kinder, die auf den ersten Blick das Familiengefüge zu sprengen drohen, wiederholt Konflikte heraufbeschwören oder Themen ansprechen, die vermeintlich zum Wohle aller unausgesprochen bleiben sollten.

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WAS MAN GEGEN EINEN GERINGEN SELBSTWERT TUN KANN

Wenn Sie unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden, haben Sie sicherlich schon vieles unternommen, um Ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Gerade in der Selbsthilfe-Literatur finden sich zahlreiche Anleitungen und Übungen, die das Selbstwertgefühl steigern sollen.

Leider ist es so, dass die Arbeit am eigenen Selbstwertgefühl oft viel Zeit erfordert. Gerade wenn einem Kind sehr früh vermittelt wurde, dass es weniger wert sei als die Eltern, Geschwister und/oder Cousinen bzw. Cousins, kann es sich um eine Lebensaufgabe handeln.

Das Selbstwertgefühl entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern bildet sich in Beziehung mit anderen Menschen heraus. 

Nicht nur die Erfahrung von eigener Kompetenz, sondern auch die Wertschätzung der eigenen Person durch sich selbst, aber eben auch durch unsere Mitmenschen tragen erheblich dazu bei, sich seines Wertes bewusst(er) zu werden.

Je stärker unser Selbstwertgefühl an unsere Fähigkeiten gekoppelt ist, desto verunsicherter werden wir häufig, wenn es um Zwischenmenschliches geht.

Fragen wie:

  • „Bin ich überhaupt liebenswert?“
  • „Bin ich in Ordnung, so wie ich bin?“
  • „Bin ich interessant (genug)?“
  • „Darf ich Wünsche haben?“
  • „Darf ich überhaupt existieren?“

tauchen immer wieder insbesondere dann auf, wenn wir auf uns selbst zurückgeworfen werden. Wenn unklar ist, was andere von uns halten – oder auch, wenn wir uns in einer ambivalenten oder unsicheren Beziehung zu uns selbst befinden.

Niemand ist eine Insel, heißt es. Das bezieht sich auch auf das Selbstwertgefühl, dass von Beginn an in und durch die Beziehung zu anderen Menschen (in der Regel unseren Eltern) entstanden ist – und deshalb auch in Beziehung „geheilt“ bzw. „gestärkt“ werden sollte.

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SIND DIE ELTERN SCHULD?

Schuld ist in diesem Zusammenhang ein schwieriger Begriff. Treffender wäre: Verantwortlich, denn die Verantwortung für das Wohlergehen eines Kindes liegt bei den Eltern bzw. Bezugspersonen.

Doch auch wenn die Eltern in der Regel zugleich auch die engsten Bezugspersonen darstellen, bedeutet das nicht, dass ihr Einfluss auf den subjektiven Selbstwert allumfassend und unumkehrbar ist. 

Tatsächlich können bereits einzelne Personen, die wohlmeinend, wertschätzend und unterstützend waren, einen großen und entscheidenden Unterschied machen. Das können Lehrer:innen, Verwandte und/oder Freund:innen gewesen sein.

Vielleicht erinnern Sie sich an so jemanden in Ihrem Leben, dessen oder deren positiver Einfluss Sie nachhaltig geprägt hat?

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ARBEIT AM SELBSTWERTGEFÜHL – MIT UNTERSTÜTZUNG

Gerade, wenn es in Ihrer Vergangenheit niemanden gab, der Sie in der einen oder anderen Weise unterstützt hat, Sie wertschätzend behandelte und Ihnen vermittelte, dass Sie liebenswert seien, kann es notwendig sein, sich professionelle Unterstützung und Begleitung zu suchen. 

Da das Selbstwertgefühl sich auf und in jedem Lebensbereich auswirkt, ist es umso wichtiger, es aufzubauen und zu fördern  – es wirkt sich wie der Steinwurf in einen See aus, der Wellen schlägt:

  • Auf Ihre Beziehung zu sich selbst
  • Auf Ihre Beziehung zu anderen
  • Auf Ihren Beruf bzw. Ihr berufliches Standing
  • Die anderen Bereiche Ihres Lebens, in denen Sie sich bislang schwertaten

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Meine Frage an Sie:

Wie war Ihr Selbstwertgefühl in Ihrer frühen Kindheit ausgeprägt? Wie in Ihrer Jugend? Fühlten Sie sich als Kind gesehen? Durften Sie Bedürfnisse haben?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie sind wertvoll. Ohne Wenn und Aber.

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© 2023 Romy Fischer

Die Familie: Ein komplexes System

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Die Familie: Ein komplexes System

Schon der russische Schriftsteller Leo Tolstoi schrieb in seinem berühmten 1877/78 veröffentlichten Roman Anna Karenina:

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“

Diese Aussage stimmt in ihrer Pauschalität nur bedingt, macht aber vor allem eines deutlich: Das Leid (innerhalb) einer Familie hat viele Gesichter.

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FAMILIEN ALS KOMPLEXE SYSTEME

Familien sind komplexe Systeme, die vor allem danach bestrebt sind, sich selbst zu erhalten. Damit dieses System aufrechterhalten werden kann, werden den einzelnen Familienmitgliedern bestimmte Rollen zugewiesen.

Das geschieht jedoch in der Regel nicht in einer bewussten demokratischen Auseinandersetzung, sondern auf einer unbewussten Ebene. Diese wiederum kann oftmals nur von außen erkannt werden: Mit genügend räumlicher und emotionaler Distanz. Welche Rollen das im Einzelnen sind, hängt dabei zunächst einmal von den Bezugspersonen ab.

Meist sind das die Eltern, die ihrerseits wiederum bestimmte Rollen erfüllen. Diese Rollen sind oft stereotyp und dichotom unterteilt: Zum Beispiel in „typisch männlich“ und „typisch weiblich“, der Mann als „Ernährer“, die Frau als „Kümmererin“. Auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen sind aufgrund von eigenen Sozialisationserfahrungen vor diesen Stereotypen nicht gefeit.

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DAS KIND ALS PROJEKTIONSFLÄCHE

Kommt dann ein Kind ins Spiel, wird das bis dato eingependelte Verhältnis auf den Kopf gestellt.

Noch bevor es das Licht der Welt erblickt, wird eine ganze Reihe von Vorstellungen auf das Kind projiziert. Das können Wünsche und Sehnsüchte sein, aber auch das genaue Gegenteil. Unerwünschte Eigenschaften, Charakterzüge, die die werdenden Eltern an sich oder ihrem Partner massiv ablehnen, körperliche oder psychische Schwächen, die sie in ihrem Nachwuchs ausmerzen wollen.

Ebenso kann es aber auch sein, dass das Kind in eine ungünstige Lebenssituation hineingeboren worden ist, weil die Eltern (zu) jung waren, berufliche Schwierigkeiten hatten oder mit ihrem eigenen Leben schlichtweg überfordert waren. Auch und gerade Partnerschafts- und/oder Ehekonflikte werden dann auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Manche Eltern geben ihrem Kind sogar die Schuld für ihr vermeintlich verfehltes Leben.

Lange, bevor den Kindern klar wird, was da eigentlich geschieht, finden sie sich dann in der Rolle des schwarzen Schafes wieder. Je nach Konstellation muss es wahlweise als Blitzableiter für die Eltern, Sündenbock der Familie oder gescheiterter Hoffnungsträger herhalten. In jedem Fall kann das Kind nur verlieren: Entweder seine Bezugspersonen – oder sich selbst.

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GEFANGEN IN EINER ROLLE

Das Kind kann sich noch so sehr anstrengen, aus dieser Rolle auszubrechen, es wird ihm bzw. ihr nicht gelingen – jedenfalls nicht, ohne dass Familiensystem ins Chaos zu stürzen. Denn das bedeutet für das System den absoluten Super-Gau. Und wie jedes System kämpft auch das Familiensystem erbittert um seinen Erhalt – oftmals mit schwierigen Folgen für alle Beteiligten.

Die daraus resultierenden Folgen sind vielfältig. Sie spielen sich zum einen auf der Beziehungsebene und zum anderen auf der physisch-psychischen Ebene ab. Das sind beispielsweise:

    • Konfliktreiche Beziehungen
    • Symbiose- oder Fluchttendenzen in/aus Beziehungen
    • Gänzliche Vermeidung von Beziehungen
    • Zwanghaftes Ringen um die Anerkennung in der eigenen Familie
    • Reaktanz und/oder Rebellion als Antwort auf Annäherung
    • Völlige körperliche und/oder psychische Erschöpfung
    • Beziehungsabbrüche

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DEN KAMPF BEENDEN

Selbst Menschen, denen es gelingt, diese destruktiven Muster zu erkennen und sich ihrer familiären Rolle bewusst zu werden, haben große Schwierigkeiten damit, sich aus deren Einfluss zu befreien. Erst der gemeinsame empathisch-analytische Blick von außen schafft die nötige Distanz zum Geschehen und zu den Beteiligten des Geschehens.

So lassen sich die bekannten Denk- und Verhaltensmuster ablegen und verinnerlichte Glaubenssätze auflösen, um wechselseitig befriedigende Beziehungen sowie ein zufriedenstellendes und erfüllendes Leben zu führen – im Innen wie im Außen.

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Meine Frage an Sie:

Welche Rolle war Ihnen als Kind vertraut? Welche Verhaltensweisen durften Sie zeigen, welche nicht? Welche Gefühle wurden tabuisiert?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie sind mehr als die Rolle, die Ihnen in der Vergangenheit zugeteilt wurde.
  • Sie entscheiden heute über Ihre Grenzen.
  • Sie sind wertvoll – einfach, weil es Sie gibt.
  • Sie dürfen Ihren eigenen Weg gehen.

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© 2023 Romy Fischer

Weihnachten ohne Familie: Gelassener durch die Feiertage

Photo by Valentin Petkov on Unsplash
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Weihnachten ohne Familie: Gelassener durch die Feiertage kommen

Wer Weihnachten ohne die Familie verbringt, wird gerne bedauert. Sicher ist man frisch getrennt – oder die Eltern sind bereits verstorben. Dabei kann es viele gute Gründe dafür geben, weshalb man die Feiertage nicht im Kreise der Familie verbringt.

Heute geht es darum, wie es Ihnen gelingt,  gelassener durch die Feiertage zu kommen, ohne sich von vergangenen Erfahrungen zu sehr beeinflussen zu lassen.

 

Photo by lilartsy on Unsplash
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FAMILIENIDYLLE AN WEIHNACHTEN? 

An den Feiertagen konzentriert sich all das, was sich über das Jahr hinweg teils angesammelt, teils aufgetürmt hat: Die Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte werden auf die wenigen Tage im engsten Familienkreis projiziert. Treffen diese dann auf die Realität, sind Enttäuschung, Frust und Ärger geradezu vorprogrammiert. 

So gut wie niemandem gelingt es, sich gänzlich von Erwartungen an andere zu befreien. Wir alle haben Wünsche, die teilweise berechtigt und teilweise unberechtigt sind. Jedoch ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass es sich dabei lediglich um Wünsche handelt – unsere Mitmenschen sind nicht dazu verpflichtet, sie uns zu erfüllen. Selbst unsere eigene Familie ist das nicht. 

Das heißt keineswegs, dass Sie alle Erwartungen über Bord werfen sollten, um gar nicht erst Gefahr zu laufen, enttäuscht zu werden. Vielmehr bedeutet es, dass es an der Zeit ist zu prüfen, ob und inwieweit sich Ihre Wünsche in Wahreheit auf eine längst vergangene Zeit beziehen: Ihre Kindheit und/oder Jugend.

Photo by Elena Mozhvilo on Unsplash
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WEIHNACHTEN IM KREISE DER FAMILIE

Wenn Sie sich an vergangene Weihnachtsfeste zurückerinnern, mit welchen Gefühlen sehen Sie sich konfrontiert? Freude, Dankbarkeit, Nostalgie, Wehmut und/oder Bitterkeit?

Viele Menschen tendieren dazu, die Vergangenheit verklärter zu erinnern, als sie zum jeweiligen Zeitpunkt stattgefunden hat. Gerade in Gesprächen mit anderen Familienmitgliedern werden dieselben – oft vermeintlich „schönen“ und/oder „lustigen“ – Familiengeschichten bzw. -anekdoten geradezu gebetsmühlenartig wiederholt.

Es wird zum Ritual, vergangene Feste in der Erinnerung aufleben zu lassen, als ob man sich immer wieder aufs Neue vergewissern wollte, dass die Vergangenheit sich tatsächlich so heiter, gesellig und friedlich abgespielt hat, wie es die Erzählungen vermuten lassen.

Ganz oft war dies allerdings nicht der Fall, ganz im Gegenteil.

Photo by 🇻🇪 Jose G. Ortega Castro 🇲🇽 on Unsplash
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DYSFUNKTIONALE KOMMUNIKATION IN DER FAMILIE

Leider ist es noch immer nicht bis in alle Familien vorgedrungen, wie wichtig gesunde Kommunikation ist. So wichtig die Inhalte eines Gespräches sind, mindestens ebenso wichtig ist es, die Art und Weise zu beachten, wie diese Inhalte geäußert werden.

Dann wird über den alkoholisierten Onkel gescherzt, der im Laufe des Abends immer anhänglicher wurde, die Figur bzw. die Kleidung der Anwesenden kommentiert und/oder das Festessen mit mehrdeutigen Komplimenten versehen – häufig begleitet von einem Augenzwinkern oder einem verbalen „Du weißt doch, wie ich das meine.“

Grundsätzlich ist zunächst einmal nichts Schlechtes daran, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Problematisch wird es erst, wenn das Wiederkäuen der Vergangenheit zu schmerzhaften Gefühlen in der Gegenwart führt. Wenn eine Frau oder ein Mann wiederholt auf ihr Äußeres, die Familienplanung und/oder die berufliche Stellung angesprochen werden – oft in Kombination mit einer (ab)wertenden Haltung – dann handelt es sich hierbei nicht mehr um familiäre Frotzeleien, sondern um eine Grenzüberschreitung, die durch ihre jährliche Wiederholung vermeintlich legitimiert wird. 

Wird diese Grenzüberschreitung beim Namen benannt, verwandelt man sich in den Augen der Familie sogleich in einen bzw. eine sogenannte Nestbeschmutzerin. Denn schließlich sollte man sich doch wenigstens über die Feiertage doch zusammenreißen können – so lautet häufig das unausgesprochene Familiencredo.

Photo by Tyler Nix on Unsplash
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GRENZEN: WAHRNEHMEN, SETZEN UND KOMMUNIZIEREN

Wenn Sie sich dafür entscheiden, die Feiertage mit Ihrer Familie zu verbringen, kann es deshalb sinnvoll sein, dass Ihre eigenen Grenzen setzen und kommunizieren. Doch zuvor müssen Sie sich selbst darüber im Klaren sein, wann und in welchen Situationen eine Grenzüberschreitung für Sie beginnt. Das kann je nach Geschlecht, Alter und Lebenssituation ganz unterschiedlich aussehen.

Eine ungewollt kinderlose Frau möchte womöglich nicht auf die Familienplanung angesprochen werden – und schon gar keine Scherze über die Kinderlosigkeit hören. Jemand, dessen Vertrag erneut befristet wurde und/oder der bzw. die gerade seine Stelle verloren hat, hingegen möchte nicht auf die berufliche Situation angesprochen werden. Sie ahnen bereits, dass es viele Themenbereiche geben kann, die ein Minenfeld für alle Beteiligten darstellen können. 

Zunächst einmal geht es darum, dass Sie für sich selbst sondieren, welches Thema zum gegenwärtigen Zeitpunkt für Sie ein „Tabu“-Thema darstellt. Das Bewusstsein dafür hilft Ihnen dabei, klar(er) zu kommunizieren, worüber Sie nicht mit Ihrer Familie sprechen möchten. Je klarer Sie in Ihrer eigenen Haltung sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ihre Familie Ihren Wunsch respektiert.

Photo by Isaiah Rustad on Unsplash
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FORMULIERUNGSHILFEN: GRENZEN KOMMUNIZIEREN

Wenn Sie sich entschieden haben, die Feiertage mit Ihrer Familie zu verbringen, können Sie mithilfe der folgenden Beispielformulierungen Ihre Grenzen kommunizieren.

Themen abwehren und ein anderes Gesprächsthema vorschlagen bzw. das Thema umlenken:

  • „Liebe X, lieber Y, ich möchte nicht über Thema Z sprechen. (Danke für euer Verständnis.)“
  • „Ehrlich gesagt möchte ich darüber nicht sprechen. Möchte noch jemand von Gericht A probieren?“
  • „Ich finde nicht, dass das ein gutes Gesprächsthema ist. Wollen wir lieber über Thema B sprechen?“

Gespräch beenden und Situation verlassen:

  • „Du, wenn du weiter über Thema A sprechen möchtest, beende ich das Gespräch.“
  • „Ich sagte bereits, dass ich nicht über Thema B sprechen werde. Wenn du darauf beharrst, werde ich gehen.“
  • „Es ist schade, aber ich hatte bereits gesagt, dass ich nicht über Thema A sprechen möchte. Ich werde mich dann jetzt verabschieden.“

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WEIHNACHTEN OHNE FAMILIE: ZEIT FÜR EIGENE TRADITIONEN

Es ist an der Zeit, eigene Traditionen zu begründen. Das kann das bewusste Loslassen alter Traditionen bedeuten, weil man ihnen entweder entwachsen ist, sie ohnehin nie besonders mochte oder auch einfach nur seine eigene Vorstellung einer erholsamen Weihnachtszeit umsetzen möchte.

Das kann auch bedeuten, Weihnachten überhaupt nicht zu feiern, es alleine zu verbringen oder mit Ihrem Partner bzw. Ihrer Partnerin und/oder Ihrem Freundeskreis.

Als erwachsener Mensch haben Sie die Freiheit, Ihre eigenes Leben zu gestalten – das bezieht sich auch die Dauer bzw. die Art und Weise, wie Sie den Kontakt zu Ihrer Herkunftsfamilie über die Feiertage gestalten.

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Meine Frage an Sie:

Mit welchen Gefühlen erinnern Sie sich an die Feiertage in Ihrer Kindheit und Jugend? Gab es auch Raum für Negatives? Wie wurden Konflikte gelöst?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie bestimmen, wie Sie die Feiertage verbringen möchten.
  • Sie dürfen alte Traditionen ablegen.
  • Es ist nicht Ihre Aufgabe, es allen recht zu machen.
  • Sie dürfen Ihre Grenzen kommunizieren und wahren.

Wenn Sie bei diesem Prozess eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

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Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Clowns

Photo by Marcos Ferreira on Unsplash
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Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Clowns

Ich lache, obwohl ich weinen will. Ich lache, obwohl ich innerlich zerbreche. Ich lächle, obwohl ich traurig bin. Nach außen hin wirkt alles gut: Das Kind lacht viel, reißt Witze und unterhält die ganze Familie. Doch wie es im Inneren des Kindes aussieht, zeigt es nicht. Wie sehr die Clowns in der Familie unter ihrer fröhlichen Maske leiden, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Heute stelle ich Ihnen den sechsten Teil der mehrteiligen Serie „Familienrollen – Wenn die Rolle in der Familie zum Gefängnis wird“ vor, die Ihnen dabei helfen können, sich selbst, die Beziehung zu Ihren Bezugspersonen sowie Ihre Kindheit bzw. Jugend besser zu verstehen.

WER ODER WAS IST DER CLOWN IN DER FAMILIE?

Kinder in der Rolle des Familienclowns sind äußerlich Strahlenaturen. In ihrer Gegenwart scheint alles leicht und heiter zu sein, sie machen Späßchen, sind selten um einen frechen Spruch verlegen und verstehen es stets, die kippende Stimmung zu retten. 

Was sich in ihrem Inneren abspielt, behalten sie jedoch für sich. Das fröhliche Gesicht ist ihre Maske und ihr Schutzschild zugleich.

Photo by Nathan Dumlao on Unsplash
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ABLENKUNG UND UNTERHALTUNG ALS ÜBERLEBENSSTRATEGIEN

Kinder, die die Rolle des Clowns einnehmen, stehen häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie erhalten in der Regel positive Rückmeldungen für ihr heiteres Wesen und ihre Fähigkeit, gute Laune zu verbreiten. Sie verfügen oftmals über feine Antennen für den drohenden Wechsel von Stimmungen und reagieren darauf mit ihren erlernten Überlebensstrategien: Ablenken und unterhalten.

Sobald „etwas in der Luft liegt“, spulen sie eine ganze Bandbreite an Verhaltensweisen ab, die alle mehr oder minder denselben Zweck dienen: Spannungen zu reduzieren, Konflikte zu beenden und/oder negative Gefühle zu überspielen bzw. andere dazu zu bewegen, sich besser zu fühlen.

Dieses Verhalten wird häufig zu einer zweiten Persona, und greift über den familiären Kontext hinaus – in die Schule, den Beruf und den Kontakt zu Gleichaltrigen. Entscheidend ist hierbei jedoch, dass die innere Verfassung nicht mit der nach außen hin gezeigten übereinstimmt, sondern in der Regel eine tiefe Spaltung besteht. 

Traurigkeit, Angst, Scham, Wut/Zorn und/oder ähnliche Gefühle bleiben hinter der Fassade verborgen.

Photo by John Noonan on Unsplash
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DAS VERZWEIFELTE KIND HINTER DER MASKE

Kinder in der Rolle des Clowns verlieren oftmals den Bezug zu ihren eigenen Gefühlen, insbesondere dann, wenn es sich um negative handelt. Gerade in der Gesellschaft anderer Menschen sind sie darauf konzentriert, ihre heitere Maskerade aufrechtzuerhalten und laufen dabei häufig, über die Strenge zu schlagen und ihre Mitmenschen befremdet zurückzulassen. 

Unter Umständen zeigt sich dieses Verhalten auch in Kontexten, in denen Heiterkeit und Späße völlig unangebracht sind – etwa in beruflichen Situationen, Trauerfeiern und/oder als Reaktion auf einen Schicksalsschlag. Den Schmerz „weglachen“ zu wollen ist dabei zunächst keineswegs abwegig. Problematisch wird es erst, wenn jede Form von Verletzung oder schmerzlicher Erfahrung – sei es die eigene oder die anderer – von vorneherein mit Humor im Keim erstickt werden soll. 

Die Diskrepanz – oder auch Aufspaltung – zwischen dem, was tatsächlich empfunden wird und dem, was nach außen hin gezeigt wird, kann langfristig zu psychosomatischen Beschwerden führen. Das heißt, es treten Symptome auf, die sich rein organisch nicht erklären lassen.

Ihre eigene Verzweiflung, Traurigkeit und/oder das Gefühl, von niemanden wirklich verstanden zu werden, fühlt sich so beängstigend und überwältigend an, dass das  Erleben dieser Gefühle um jeden Preis vermieden muss.

Gleichzeitig heischen sie nach Aufmerksamkeit, genießen es zuweilen, im Mittelpunkt zu stehen und die Lacher auf ihrer Seite zu wissen. Aber erst durch die Reduktion auf die Rolle des Clowns unter Aufgabe aller anderen potenziellen Rollen, unterschiedlicher Gefühle und Vielfalt an potenziellen Reaktionen entsteht das Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln, wie etwa Depressionen.

Photo by Ümit Bulut on Unsplash
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LACHEN UND HUMOR ALS MEDIZIN: DIE DOSIS MACHT DAS GIFT

So fatal der Umgang mit negativen Erlebnissen und/oder negativen aufkommenden Gefühlen sein mag, verfügen die Clowns in der Familie über eine besondere Fähigkeit, die anderen Menschen oftmals fehlt: Sie können ihren Humor und ihr Lachen dazu verwenden, sich selbst wieder aufzurichten, wenn sie am Boden angelangt sind. Oder auch dazu, selbst schwierigen Situationen etwas Positives abzugewinnen – und sei es auch nur die Gelegenheit, zu einem späteren Zeitpunkt daraus eine gute Geschichte zu machen.

Es ist jedoch wichtig zu unterstreichen, dass der Humor langfristig keinen zynischen Zug annimmt, denn Zynismus und Verbitterung gehen häufig Hand in Hand miteinander und vergiften allmählich das eigene Leben. Auch die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, ist eine zweischneidige – auf der einen Seite bedeutet es, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen und in der Lage zu sein, kleineren Missgeschicken durchaus etwas Amüsantes abgewinnen zu können.

Auf der anderen Seite bedeutet es genau das: Sich selbst nicht ernst (genug) zu nehmen, über sich zu lachen, bevor es andere tun. Denn wenn man selbst zuerst lacht, schmerzt das Lachen der anderen vermeintlich weniger.

Es ist wie so oft die Dosis, die das Gift macht – aber auch die Intention, die dahintersteckt: Tatsächlich empfundenes Amüsement – oder eben doch reiner Selbstschutz vor den anderen.

Photo by Priscilla Du Preez on Unsplash
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WIE ERKENNE ICH, OB ICH MICH HINTER MEINEM HUMOR VERSTECKE?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Ihnen dabei helfen zu erkennen, ob Sie Ihren Humor dazu nutzen, sich von Ihren eigenen Gefühlen abzuschirmen und/oder andere Menschen nicht hinter Ihre heitere Fassade blicken zu lassen.

    • Jemand macht Ihnen gegenüber eine spitze und/oder spöttische Bemerkung, die Sie mit einem Scherz kontern. Innerlich fühlen Sie sich getroffen, behalten dies jedoch für sich. Schließlich möchten Sie nicht für eine Spaßbremse gehalten werden.
    • Sie vermeiden es, über ernste(re) Themen zu sprechen und lenken das Gespräch in der Regel in eine andere – meist heitere – Richtung.
    • Sie gelten in Ihrem Umfeld als der- bzw. diejenige, der/die immer lacht, etwas Lustiges zu erzählen hat und/oder niemals schlechte Laune.
    • Sie gehen Menschen mit einer negativen Ausstrahlung konsequent aus dem Weg und halten davon Abstand, andere nach ihren Sorgen und Ängsten zu fragen.
    • Sie sind darum bemüht, jederzeit und an jedem Ort für eine gute Stimmung zu sorgen. Ihre Antennen für Stimmungsänderungen sind außerordentlich fein ausgeprägt, weshalb Sie bereits früh gegensteuern, wenn Sie bemerken, dass die Stimmung zu kippen droht.
    • Sie haben das Gefühl, sich in Gegenwart anderer Menschen verstellen zu müssen, denn die wenigsten Menschen wissen, wie es in Ihnen aussieht, wenn Sie allein sind.
    • Manchmal wünschen Sie sich geradezu verzweifelt, dass jemand Ihre innere Not wahrnimmt und sich aus echtem Interesse danach erkundigt, wie es Ihnen wirklich geht.

All das können Hinweise darauf sein, dass Sie Ihre Rolle als Clown und/oder Unterhalter:in so tief verinnerlicht haben, dass Sie Ihnen zu einer zweiten Natur geworden ist. Aber das menschliche Erleben umfasst das gesamte Gefühlsspektrum: Von Freude, Fröhlichkeit über Wut, Trauer und Schmerz. Jedes Gefühl – ob positiv oder negativ – hat seine Berechtigung, denn es liefert uns wichtige Informationen über uns selbst, unsere Ziele, Sehnsüchte und Ängste.

Genauso haben auch Sie das Recht dazu, aus Ihrer Rolle herauszutreten und andere Menschen hinter Ihre Fassade blicken zu lassen. Ihre Verletzlichkeit ist keine Schwäche, auch wenn sich das in Ihrer Kindheit und Jugend anders angefühlt hat und womöglich sogar gegen Sie verwendet wurde.

Sie müssen nicht allen gefallen, um liebenswert bzw. der Liebe anderer würdig zu sein. Die Menschen, die Sie wertschätzen und respektieren, werden auch Ihre vermeintlichen Schattenseiten und dunklen Stunden gemeinsam mit Ihnen durchstehen.

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Meine Frage an Sie:

Welche Gefühle waren in Ihrer Familie erlaubt, welche nicht? Welche Art von Humor war in Ihrer Familie „in Ordnung“? Wie gehen Sie heute mit „verbotenen“ Gefühlen um?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Sie dürfen traurig sein.
  • Sie dürfen verzweifelt sein.
  • Sie dürfen wütend sein.
  • Sie dürfen Ihre Maske fallen lassen.
  • Es ist nicht Ihre Aufgabe, andere Menschen glücklich zu machen.
  • Sie dürfen Ihre Gefühle äußern.
  • Ihre Gefühle und verdienen Beachtung.
  • Sie (!) verdienen Beachtung.

Wenn Sie bei diesem Prozess eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

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Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Sündenbocks

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Dysfunktionale Familien: Die Rolle des Sündenbocks

Warum bin ich immer an allem schuld? Wieso behandeln meine Eltern meine Geschwister besser als mich? Mit solchen und ähnlichen Fragen quälen sich viele Kinder, Jugendliche und selbst noch Erwachsene. Wie es dazu kommt, das in beinahe jeder Familie ein Mitglied der Familie zum Sündenbock bzw. schwarzen Schaf gemacht wird, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Heute stelle ich Ihnen den fünften Teil der mehrteiligen Serie „Familienrollen – Wenn die Rolle in der Familie zum Gefängnis wird“ vor, die Ihnen dabei helfen können, sich selbst, die Beziehung zu Ihren Bezugspersonen sowie Ihre Kindheit bzw. Jugend besser zu verstehen.

WER IST DER SÜNDENBOCK BZW. DAS SCHWARZE SCHAF?

Der Sündenbock bzw. das schwarze Schaf in einer Familie ist eine der undankbarsten Rollen, die ein Kind einnehmen kann bzw. die ihm zugewiesen wird. Sündenböcke dienen häufig als Blitzableiter und werden als Verursacher:innen von Unglück, Streitereien und/oder Pech in der Familie betrachtet.

Auf ihnen lastet die Verantwortung für das Wohlergehen der gesamten Familie, in extremen Fällen sogar der gesamten Verwandtschaft. Sie werden als andersartig wahrgenommen, stechen zumeist negativ heraus und bereiten der Familie aus elterlicher Sicht vor allem eines: Kummer, Sorgen – und Ärger. 

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AUF DER SUCHE NACH EINEM BZW. EINER SCHULDIGEN

Die Rolle des Sündenbocks bzw. des schwarzen Schafs ist eine tragische Rolle. Das Kind, auf dem diese Rolle lastet, leidet in mehrfacher Hinsicht. Und das Schlimmste: Es kann nichts richtig machen.

Schon früh lernt es, dass es keine Rolle spielt, wie es sich verhält, was es tut oder nicht tut – ihm wird von seinen Bezugspersonen bzw. Eltern grundsätzlich die Schuld und Verantwortung für jedes Missgeschick und jede unschöne Situation aufgeladen. Im Grunde genommen kann es nichts richtig machen, ganz gleich, wie sehr es sich auch anstrengen mag. Vermeintliche Schuld haftet an ihm wie eine zweite Haut, aus der es sich nicht befreien kann.

Ob es sich um elterliche Konflikte, geschwisterliche Auseinandersetzungen oder Ereignisse außerhalb der Familie handelt, das Kind, das sich in der Rolle des Sündenbocks befindet, wird (meist unbewusst) zum bzw. zur Mitschuldigen und/oder sogar Verantwortlichen gemacht.

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AUßENSEITER UND AUßENSEITERIN IN DER EIGENEN FAMILIE

Familie ist nicht immer der Ort, an dem Kinder geborgen und sicher aufwachsen können. Kinder, die als Sündenböcke bzw. schwarze Schafe aufwachsen, bekommen das sehr deutlich am eigenen Leib zu spüren.

Kinder fragen sich verzweifelt immer wieder nach dem Warum.

Warum gerade ich? Warum mag meine Familie mich nicht? Was habe ich falsch gemacht? Was ist so falsch an mir?

Zu Beginn realisiert das Kind nicht, dass es völlig unerheblich ist, was es tut oder nicht tut. Immer wieder probiert es ein neues Verhalten aus, um eine andere Reaktion seiner Bezugspersonen bzw. Eltern hervorzurufen – und scheitert dabei jedoch jedes Mal aufs Neue. Denn das Problem liegt in der Regel nicht beim Kind.

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GRÜNDE, WARUM MAN ZUM SÜNDENBOCK (GEMACHT) WIRD

Die Gründe dafür, dass ein Kind in der Familie zum Sündenbock gemacht wird, sind vielfältig – ihre Gemeinsamkeit besteht meist darin, dass das Kind durch diese Rolle das (dysfunktionale) Familiensystem weiterhin aufrechterhält, indem es für die negativen Spannungen, Emotionen und Konflikte verantwortlich gemacht wird.

Das kann bereits dadurch entstehen, dass das Kind wenig Gemeinsamkeiten mit seinen Eltern aufweist – angefangen von äußerlichen Erscheinungsmerkmalen bis hin zu Persönlichkeitsmerkmalen. Es kann auch sein, dass das Kind den Erwartungen an das kindliche Verhalten nicht gerecht wird (oder gerecht werden kann), indem die Eltern ein relativ rigides Verhalten einfordern: Abweichungen von der familiären Norm werden dann als bedrohlich empfunden und ihrerseits von den Eltern abgelehnt und abgewehrt. Das wiederum führt im kindlichen Erleben zur Ablehnung des Kindes selbst.

Weitere Gründe bestehen darin, dass Eltern sich ihre eigene Überforderung nicht eingestehen können oder wollen, ihre Hilf- und Ratlosigkeit sowie die Aufdeckung eigener Fehler um jeden Preis verhindern wollen. Deshalb benutzen sie das Kind als Projektionsfläche ihrer eigenen Unzulänglichkeiten.

Auf diese Weise wird paradoxerweise das Familiensystem aufrechterhalten: Die Familie klammert sich an die Rollenzuschreibungen und gleichzeitig erhält sie sich über diese aufrecht.

Aus welchen Gründen die Zuschreibung als Sündenbock und/oder schwarzes Schaf der Familie letztendlich auch erfolgt, die Folgen für das Kind und seine Entwicklung sind fatal. Ausgrenzung, Herabsetzung, Verweigerung von Zuwendung und/oder Beschuldigung hinterlassen ihre Spuren und prägen das kindliche Selbstbild massiv.

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DIE GESCHWISTER DES SÜNDENBOCKS

Oft erfolgt innerhalb der Familie eine Aufteilung zwischen den Geschwistern, die sich zwischenzeitlich verändern kann, sich langfristig jedoch durchsetzt: 

Ein Kind wird zum weißen, eines zum schwarzen Schaf. Und auch wenn es das weiße Schaf vermeintlich leichter hat, spürt auch dieses Kind die Erwartungen und den elterlichen Druck, nicht aus seiner Rolle zu fallen.

Zwischen den Geschwistern, die sich auf diese Weise wie zwei Pole diametral gegenüberstehen, entsteht allmählich Zwietracht, Neid, zunehmende Rivalität und/oder sogar Hassgefühle. Die elterliche Ungleichbehandlung, die einzig auf der Rollenzuweisung beruht, befeuert diese negative Entwicklung. Nicht selten dauert dieser Konflikt auch lange nach dem Auszug aus dem Elternhaus an, denn die erlebte Benachteiligung, Ausgrenzung und permanente Beschuldigung hinterlassen tiefe Spuren im emotionalen Gedächtnis.

Häufig brechen die ehemaligen Sündenböcke den Kontakt zur Familie gänzlich ab – auch und gerade zu den als bevorzugten und geliebter empfundenen Geschwistern. 

Photo by Annie Spratt on Unsplash (4)
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FOLGEN FÜR DIE KINDER

Kinder, denen die Rolle des Sündenbocks bzw. des schwarzen Schafes zugeteilt wurde, tragen langfristige Schäden davon. Insbesondere ihr Selbstbild und die Eigenwahrnehmung leiden darunter, zum Prellbock und zum bzw. zur Schuldigen gemacht worden zu sein.

Sie neigen im Laufe des Lebens u. a. zu folgenden Verhaltensweisen:

  • Sie suchen aus Prinzip die Schuld bei sich: Unabhängig davon, ob es um die Beziehung zu anderen Menschen geht – oder um mögliche Fehler. 
  • Sie vermeiden es, anderen Menschen ihr Vertrauen zu schenken, denn erneute Verletzungen und Enttäuschungen ertragen sie nicht (mehr).
  • Sie stehen unter dem permanenten Druck, sich und ihren Wert beweisen zu müssen – dass jemand sie einfach so mögen könnte, halten sie für undenkbar.
  • Sie ertragen es nicht, für etwas verantwortlich zu sein und lehnen daher oftmals von vorneherein jegliche Verantwortung ab. Beruflich bleiben sie hinter ihren Möglichkeiten zurück, privat verstricken sie ihre Mitmenschen in Situationen, wie sie sie bereits aus ihrer Kindheit kennen.
  • Sie tragen die tiefe Überzeugung in sich, im Kern ihres Wesens nicht liebenswert zu sein, nichts Gutes zu verdienen und mit Respektlosigkeit behandelt werden zu dürfen.
  • Entweder klammern sie sich krampfhaft an ihre Beziehung und tun alles dafür, dass sie nicht verlassen werden – oder sie vermeiden es, jemanden in ihr Leben zu lassen bzw. halten selbst ihre:n Partner:in auf sicherem Abstand.

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WAS SIE TUN KÖNNEN, UM VERGANGENEN SCHMERZ ZU VERARBEITEN UND LOSZULASSEN

Was können Sie tun, wenn Sie in Ihrer Familie der Sündenbock bzw. das schwarze Schaf waren?

Das Wichtigste vorab: Es ist niemals die Schuld des Kindes, wenn Bezugspersonen bzw. Eltern ihre Unzulänglichkeiten auf dem Rücken ihrer Kinder austragen. Niemals.

Die Gefühle von Unzulänglichkeit, Ungeliebtsein und/oder die tiefsitzende Überzeugung, falsch zu sein, müssen zunächst einmal erkannt und vor allem anerkannt werden. Einfach so zu tun, als ob das alles nie geschehen sei, ist wenig hilfreich. Ebenso wenig hilft es, Ressentiments zu haben, Hassgefühle zu entwickeln oder der Verbitterung anheimzufallen. Das wäre ungefähr so funktional, als ob man selbst Gift tränke und hoffte, ein anderer würde daran zugrunde gehen.

Stattdessen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, mit der Vergangenheit allmählich abzuschließen und womöglich sogar Frieden machen zu können. Nicht etwa, um das Erlebte einfach so hinzunehmen und/oder sogar als akzeptabel anzusehen – ganz im Gegenteil. Der Fokus liegt hier auf Ihnen selbst. Darauf, dass es Ihnen in Zukunft besser geht und ergeht, trotz der Dinge, die Sie erlebt und erfahren haben.

VERARBEITUNG IN 5 SCHRITTEN

Schritt 1:  Das erlittene Unrecht benennen.

Schreiben oder nehmen Sie alles an Ungerechtigkeiten auf, die Sie erlebt haben. All das, was Ihnen fehlte und/oder Ihnen nicht gewährt wurde.

Wenn das Erlebte Sie jedoch zu stark belastet und auch Ihren Alltag beeinträchtigt, sollten Sie diesen Schritt im Rahmen einer psychologischen Beratung (oder sogar Psychotherapie) tun, um stabilisierende Methoden zu erlernen.

Schritt 2:  Das erlittene Unrecht anerkennen.

Es war nicht fair oder gerecht. Es war nicht einmal ansatzweise in Ordnung. Wie man Sie behandelt hat, hatten Sie nicht verdient – und verdienen es auch heute nicht. Ihnen wurde zugemutet, was Ihre Bezugspersonen bzw. Eltern selbst nicht leisten konnten. Sie trugen die Last anstelle Ihrer Eltern. 

Das war nicht richtig.

Schritt 3:  Das Unrecht und seine Folgen betrauern.

Zu benennen, was in der Vergangenheit passiert ist, führt oftmals zu schmerzhaften Gefühlen – Gefühlen des Verlustes, Gefühlen der Wut und der Trauer. Manchmal keimen sogar Hassgefühle auf. Ihre Gefühle sind berechtigt, denn diese machen Sie zum einen darauf aufmerksam, was Ihnen widerfahren ist und zum anderen helfen sie dabei, den Schmerz zu akzeptieren und zu verarbeiten. 

Der Trauerprozess verläuft nicht geradlinig, sondern in Wellen bzw. Phasen, mit Höhen und Tiefen. Und er benötigt Zeit.

Schritt 4:  Ihre Einzigartigkeit anerkennen.

Es mag sein, dass Sie sich in irgendeiner Form von den übrigen Mitgliedern Ihrer Familie unterschieden – äußerlich und/oder innerlich. Das jedoch rechtfertigt nicht, was Sie erlebt haben. Es wäre vielmehr die Aufgabe Ihrer Eltern gewesen, an sich zu arbeiten, statt ihre Unzulänglichkeiten und Hilflosigkeit auf Sie zu projizieren.

So, wie Sie sind, sind Sie völlig einzigartig. Leider war es Ihren Eltern nicht möglich, mit dieser Einzigartigkeit (gut) umgehen zu können. Vielleicht hätte Ihre Familie Unterstützung gebraucht, um einen besseren Umgang finden zu können. Vielleicht hatten Sie aber auch einfach nicht die Eltern, die Sie gebraucht hätten. 

Es geht hierbei nicht um Schuldzuweisung, sondern darum, sich selbst zu würdigen, mit allem, was da ist. Sie sind einzigartig.

Schritt 5:  Ihre Schwächen akzeptieren und Ihre Stärken würdigen.

Jedes Lebewesen kommt mit einem bestimmten Potenzial auf diese Welt. Nicht jedes Potenzial wird ausgeschöpft, nicht jedes Talent genutzt.

Jeder Mensch verfügt über Schattenseiten, unangenehme Eigenschaften und/oder verhält sich gelegentlich falsch. Das bedeutet jedoch nicht, dass Sie als Mensch falsch sind. Es bedeutet auch nicht, dass Sie schlecht sind.

Jeder von uns hat bestimmte Schwächen, aber auch bestimmte Stärken. Machen Sie sich beide bewusst. Akzeptieren Sie das, worin Sie (noch) nicht gut sind – und würdigen Sie das, worin Sie glänzen. Als Menschen sind wir von Perfektion und Vollkommenheit fasziniert, aber sie sind nicht der Maßstab für unseren Wert.

Ihr Wert als Mensch ist bereits dadurch gegeben, dass es Sie gibt.

Dieser gesamte Prozess muss oft mehrmals durchlaufen werden – und je schwieriger Ihre Erfahrungen waren, umso wichtiger ist es, dass Sie sich dafür gute und vertrauenswürdige Unterstützung suchen.

Photo by Mercedes Bosquet on Unsplash
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Meine Frage an Sie:

Wie haben Sie gemerkt, dass Sie der Sündenbock bzw. das schwarze Schaf der Familie waren (oder sogar noch sind)? Wie hat sich das auf Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern und/oder Geschwistern ausgewirkt?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Die Zuschreibung Ihrer Eltern definiert nicht, wer und wie Sie sind.
  • Sie tragen keine Schuld für die Fehler und Unzulänglichkeiten Ihrer Eltern. 
  • Sie dürfen selbst entscheiden, wie Sie leben wollen.
  • Sie sind einzigartig auf diesem Planeten.
  • Ihre Wünsche und Ziele müssen nicht mit denen Ihrer Eltern übereinstimmen.
  • Sie haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, das Sie nach Ihren Vorstellungen gestalten.
  • Sie sind kein Fehler, kein Unglück und auch kein Irrtum.
  • Sie dürfen sich selbst wertschätzen, respektieren und lieben, denn Ihr Wert bemisst sich nicht an Ihren Leistungen, Ihrem Aussehen und/oder den Zuschreibungen anderer.

Wenn Sie bei diesem Prozess eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

Weitere Kanäle, auf denen Sie regelmäßig neue Inhalte von mir finden, sind derzeit Facebook und Instagram.

 

© 2023 Romy Fischer

Dysfunktionale Familien: Das Kind als Partner-Ersatz

Photo by Daiga Ellaby on Unsplash
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Dysfunktionale Familien: Das Kind als Partner-Ersatz

Wann wird ein Kind zum Partnerersatz? Was ist Parentifizierung? Und wie kommt es zur Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind?

Wenn Kinder zum Ersatz für die Partnerin oder den Partner werden, hat das weitreichende Folgen für ihre Entwicklung.

Der heutige Beitrag beschäftigt sich mit diesem wichtigen Thema. Er zeigt auf, wie diese innerfamiliäre Rollenumkehr aussehen kann und wie Sie erkennen können, ob Sie davon betroffen sind.

Heute stelle ich Ihnen den vierten Teil der mehrteiligen Serie „Familienrollen – Wenn die Rolle in der Familie zum Gefängnis wird“ vor, die Ihnen dabei helfen können, sich selbst, die Beziehung zu Ihren Bezugspersonen sowie Ihre Kindheit bzw. Jugend besser zu verstehen.

WAS IST EIN PARTNER-ERSATZ?

Kinder, die zum Ersatz des bzw. der Partnerin eines Elternteils werden, erfüllen mehrere Funktionen in der Familie. Anstelle eines gleichberechtigten Partners auf Augenhöhe wird dem Kind die Bürde auferlegt, emotional – und unter Umständen sogar körperlich – für den verbliebenen Elternteil zu sorgen. Dabei findet eine sogenannte „Rollenumkehr“ statt, die missbräuchliche Züge aufweist und im Extremfall eindeutig als Missbrauch zu bezeichnen ist.

In jedem Fall aber handelt es sich um eine höchst ungesunde Form der Eltern-Kind-Beziehung, die dem Kind zugemutet wird.

Photo by Luise and Nic on Unsplash
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WIE WIRD EIN KIND ZUM PARTNER-ERSATZ?

Zum Ersatz des Partners bzw. Partnerin wird ein Kind häufig dann, wenn die Beziehung der Eltern zueinander endet. Das kann beispielsweise durch eine Trennung bzw. Scheidung der Fall sein.

Ebenso kann ein Kind zum Partnerersatz werden, wenn einer – im Extremfall sogar beide – Elternteile sich emotional und/oder körperlich von ihrer Partner:in im Stich gelassen fühlen. In diesem Fall ist die Beziehung der Eltern zwar nach außen hin noch vorhanden, innerlich jedoch haben sich die Elternteile voneinander losgesagt, ohne ihre Trennung offiziell zu machen. Dieser ambivalente Zustand zwischen den Eltern wiederum verstärkt das Risiko der Rollenumkehr, je länger er andauert.

Photo by Jess Zoerb on Unsplash
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ENGE ELTERN-KIND-BEZIEHUNGODER BEREITS MASSIVE GRENZÜBERSCHREITUNG?

In der mildesten Form dient das Kind als Ratgeber:in, Tröster:in und/oder Seelsorger:in für die Eltern, in der massivsten Form kann es zu emotionalen und/oder körperlichen Grenzüberschreitungen und zu Missbrauch im strafrechtlichen Sinn kommen.

Das Tragische dabei ist, dass zum einen die Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson von außen fälschlicherweise als besonders und innig angesehen wird – und zum anderen das Kind zwar die Bevorzugung bis zu einem gewissen Grad zu genießen scheint, dabei aber Gefahr läuft, Grenzüberschreitungen eher zu dulden und/oder über sich ergehen zu lassen, um die Zuneigung seiner Bezugsperson nicht aufs Spiel zu setzen.

Dabei verliert das Kind nach und nach das Gefühl für seine eigenen (Körper-) Grenzen bzw. ist nicht (mehr) in der Lage, diese nach außen hin zu kommunizieren. 

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FOLGEN FÜR DIE KINDER

Kinder tun alles Erdenkliche, um die Zuneigung und Aufmerksamkeit ihrer Bezugspersonen zu erhalten und zu sichern, selbst wenn das bedeutet, dass sie ihre eigenen Grenzen aufgeben müssen. Je kleiner und jünger sie sind, desto größer ist naturgemäß die Abhängigkeit zu ihren Eltern und damit zugleich auch das Bestreben, die elterliche Zuwendung um jeden Preis aufrechtzuerhalten.

Ihr Vertrauen in die elterliche Fürsorge und Sicherheit gerät massiv ins Wanken, wenn das Kind in der Familie von einer Sekunde auf die andere die Rolle eines bzw. einer Erwachsenen übernehmen muss.

Als Erwachsene steigt bei dieser fatalen Rollenumkehr für sie das Risiko, in ähnliche Beziehungsstrukturen zu geraten und Opfer von grenzüberschreitenden Partner:innen zu werden. 

Es besteht jedoch auch das Risiko, dass sie umgekehrt Beziehungen suchen, in denen sie zu Täter:innen werden und die Grenzen ihrer Partner bzw. Partnerin bedrohen.

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ES IST NIEMALS DIE AUFGABE DES KINDES, DIE BEDÜRFNISSE SEINER ELTERN ZU BEFRIEDIGEN

Es ist einzig und alleine die Aufgabe der Eltern, sich um ihr Kind zu kümmern, es zu versorgen und ihm die Unterstützung zukommen zu lassen, die es benötigt, um zu einem bzw. einer emotional und körperlich gesunden jungen Erwachsenen heranzureifen.

Keineswegs jedoch dürfen Eltern diese Aufgabe an ihre Kinder abwälzen und versuchen, ihre Bedürfnisse mithilfe und/oder durch das Kind zu befriedigen.

Die Realität sieht jedoch häufig anders aus. Oftmals sind die Eltern selbst mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Sie sind aufgrund eigener Vorerfahrungen oft nicht in der Lage, Konflikte in ihrer Beziehung adäquat zu lösen und flexibel auf neue Herausforderungen im Leben zu reagieren. Je nach Persönlichkeitsstruktur wird dem Kind dann – oftmals stillschweigend – die Aufgabe zugesprochen, für das Wohlbefinden des Elternteils zu sorgen. 

Auf emotionaler Ebene kann das bedeuten, die Stimmungen und Launen abzufedern bzw. umzulenken, stets wie auf Eierschalen zu laufen und ständig in Habachtstellung zu sein. Es kann aber auch dazu führen, dass das Kind die emotionale Last der Eltern schultern muss, indem es für konkrete Lösungen in bestimmten Situationen herangezogen wird, die seine eigene emotionale und geistige Reife übersteigen.

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PARENTIFIZIERUNG: BIN ICH DAVON BETROFFEN

Wenn Sie sich nun fragen, ob Sie betroffen sind, indem Sie in Ihrer Kindheit für Ihre Eltern sorgen mussten, können Ihnen folgende Anhaltspunkte bei der Beantwortung Ihrer Frage weiterhelfen:

    • Wichtige Entscheidungen wurden wiederholt mit Ihnen anstelle mit Ihrem Vater und/oder Ihrer Mutter besprochen und getroffen.
    • Sie lernten bereits früh die Sorgen und Ängste Ihrer Eltern kennen und versuchten, diese so gut es ging zu reduzieren bzw. Ihre Eltern nach Möglichkeit zu entlasten.
    • Sie wurden in jungen Jahren in Familiengeheimnisse eingeweiht, die Sie gegenüber Ihren Freundinnen und Freunden, der Schule und anderen Außenstehenden bewahren mussten.
    • Sie waren als ältestes Kind in der Familie für die Betreuung, Versorgung und/oder schulischen Belange Ihrer jüngeren Geschwister verantwortlich.
    • Ihre Eltern konfrontierten Sie früh mit Themen und/oder Problemen in ihrer eigenen Beziehung, die nicht kindgerecht waren, wie etwa Sexualität, Machtverhältnisse und/oder finanzielle Sorgen.
    • Im Vergleich zu Ihren gleichaltrigen Freundinnen und Freunden trugen Sie deutlich mehr Verantwortung.
    • Sie hörten häufig Äußerungen wie „Was würde ich nur ohne dich machen!“ – „Auf dich kann ich mich verlassen!“ – „Zum Glück bist du nicht wie dein Vater/deine Mutter!“ – „Du bist doch der/die Älteste, also musst du …“ – „Es ist deine Schuld, wenn wir streiten/ich schlecht gelaunt bin.“ – „Nur du verstehst, wie es mir wirklich geht.“ – „Ich zähle auf dich, also enttäusche mich nicht.“

Photo by Pavan Trikutam on Unsplash
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WIE GEHE ICH HEUTE DAMIT UM?

Wenn Sie realisiert haben, dass Ihre Eltern nicht in der Lage waren, angemessen für Sie zu sorgen und ihren elterlichen Pflichten nachzukommen, kann das zunächst einmal eine sehr schmerzhafte Erkenntnis sein. 

Unter Umständen geht es darum, eine verlorene Kindheit zu betrauern, wenn Sie bemerken, dass es Ihren Eltern im Rahmen ihrer Fähigkeiten nicht möglich war, für Sie so zu sorgen, wie Sie es als Kind gebraucht hätten.

Sie dürfen jederzeit … 

  • … für sich selbst ein guter Elternteil sein, indem Sie sich so behandeln, wie Sie es sich in einer bestimmten Situation gewünscht hätten.
  • äußere und innere Grenzen setzen. Ihr Körper und Ihre Gedanken gehören Ihnen allein.
  • Nein sagen. Und zwar ohne jede Begründung.
  • … eine Beziehung beenden. Unabhängig davon, was Ihr:e Partner:in dazu sagt.
  • … auf Ihre Bedürfnisse achten und sie erfüllen. Denn das kann Ihnen niemand abnehmen – und nur Sie können wirklich einschätzen, was Ihnen langfristig guttut.
  • … um Hilfe bitten. Dabei dürfen Sie durchaus das Risiko eingehen, dass die Bitte abgelehnt wird.
  • gut für sich sorgen. Ausreichend Schlaf, eine gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung sind wichtig für Ihr inneres Gleichgewicht.
  • … einen kritischen Blick in die Vergangenheit werfen, aber darüber nicht vergessen, in der Gegenwart und Zukunft eigenverantwortlich zu leben.

Was in der Vergangenheit geschehen ist, ist geschehen und lässt sich auch nicht rückgängig machen. Was Sie heute jedoch tun können, um zufriedener und glücklicher leben zu können: Seien Sie für sich selbst der gute Elternteil, den Sie damals gebraucht hätten.

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Meine Frage an Sie:

Mussten Sie als Kind Ihre Eltern emotional und/oder sogar körperlich umsorgen? Durften Sie einfach Kind sein?

Eine wichtige Erinnerung an Sie

  • Kinder haben das Recht auf eine gewaltfreie, unterstützende und liebevolle Kindheit, in der sie Kind sein dürfen.
  • Sie sind weder Eigentum noch verlängertes Selbst ihrer Eltern bzw. Bezugspersonen.
  • Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl, wenn Sie in heutigen Beziehungen das Gefühl haben, dass Ihre Grenzen nicht respektiert werden und/oder Sie für die Belange anderer instrumentalisiert werden sollen.

Wenn Sie bei diesem Prozess eine empathische Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir.

 

Weitere Kanäle, auf denen Sie regelmäßig neue Inhalte von mir finden, sind derzeit Facebook und Instagram.

 

© 2023 Romy Fischer